Montag, 10. April 2017

JUNUT 2017

Montag, 10.April 2017.

Eigentlich ist der JUNUT 2017 nun Geschichte. Am 09.04.2017 um 15:00 Uhr endete der Jurasteig-Nonstop-Ultratrail von Gerhard und Margot Börner in Dietfurt. Am Freitag um 09:00 Uhr hatte er für mich in der Gruppe der Frühstarter begonnen. Eine zweite Gruppe der Schnellen startete erst am Nachmittag.

239 Kilometer und 7.000hm nonstop. Oder wahlweise die kleine Runde mit 170km und 5.000hm bis Kastl. 130 Starter aus 8 Nationen beim Einladungslauf von Gerhard mit seiner Frau Margot und den vielen vielen Helfern an den Verpflegungsstationen und unterwegs. Wie man eine solche Strecke laufen kann ist das eine. Wie man sie als Privatperson stemmen und so hervorragend organisieren kann, ist mir das viel größere Rätsel.

Fast ein Jahr habe ich mich vorbereitet. Beim letzten Junut in 2016, meinem ersten Versuch, kam ich  nur bis Matting, der ersten von drei "drop-bag"-Stationen, bei denen man auf der Strecke wieder an seine Ausrüstung kommt, die vom Team im Auto zu den Stationen gefahren wird. Damals hatte ich arge Probleme mit mir und meinem Puls und bin dort lieber rechtzeitig ausgestiegen. Das hatte ich  nie bereut und es war zu jederzeit die richtige Entscheidung. Aber ich hatte beim Junut "noch einen Sack hängen", den ich nun abgenommen habe.

Wie so oft bei mir ergeben sich manche Ideen aus einem Moment heraus. Sie verzaubern mich dann und wenn es gute Ideen sind, dann bleiben sie im Gedächtnis und bahnen sich ihren Weg bis in die Realität. Eine dieser Ideen ist es gewesen, den JUNUT 2017 vor der Haustüre in Hersbruck zu beginnen und mit dem Rad nach Dietfurt zu fahren. Dann den JUNUT mit 239 Kilomtern zu laufen und dann wieder heim. "by fair means" sozusagen. Mit Zelt, Schlafsack und Kocher.

Letzten Donnerstag, am 6.4.2017 bin ich dann gegen 11 Uhr aufgebrochen in Richtung Dietfurt. Meine komplette Ausrüstung hatte ich auf einen 10kg-Rucksack eingedampft, was für mich schon mal der erste Teil einer logistischen Herausforderung gewesen ist:

alles Material für den Lauf

  • Wechselwäsche, Laufkleidung für den Tag und für die Nacht, Windstopper, BUFF-Kopftuch, warme Handschuhe, leichte Handschuhe
  • Laufschuhe & Gamaschen
  • LaufRucksack
  • TrailrunningStöcke
  • Technik wie GPS, Lampen, Smartphone, Ersatzakkus, Powerbank, Kopfhörer, ANT+ und bluetoothHerzfrequenzsensor, Ladekabel
  • die Energie für mich (GELs, Sportriegel, InstantKaffee, InstantEssen)
die Ausrüstung für die Übernachtung im Zelt
  • Ein-Mann-Zelt
  • Isomatte
  • Schlafsack
  • Kocher
die Ausrüstung für das Rad
  • Notfallwerkzeug
  • Notfallschlauch
  • Notfall-Gas-Luftpumpe
  • Schloss
  • Trinkflasche
  • Beleuchtung
  • Helm, Trikot, Radschuhe, Radüberschuhe, Radjacke, Radbrille, Radhandschuhe
und die medizinische Abteilung
  • HeuschnupfenTabletten
  • Hustentabletten
  • NotfallSchmerztabletten
  • NotfallMullbinde
  • RadfahrerCreme
  • Magnesiumtabletten
  • Zahnbürste und Zahnpasta
  • Duschgel und Handtuch
  • sowie Brillenputztücher und Lippenbalsam (auch wegen Heuschnupfen).


Die zweite logistische Herausforderung bestand darin, a) unterwegs nichts liegen zu lassen und b) die Ausrüstung in die Reihenfolge des Ablaufes zu bringen, also alles dort zu haben wo ich es brauche.

Hat alles ganz hervorragend funktioniert. Nur als ich in Matting mit der Freiwilligen Feuerwehr in einem Schlauchboot die Donau überquert hatte, fiel mir genau auf dem Fluß ein, dass ich zwar in der kurzen Pause von etwa 30min meine Nachtausrüstung optimal eingewechselt hatte, mein Smartphone mit der Powerbank geladen hatte, aber die Energie für mich selbst vergessen hatte. Ich hatte die 240km in drei Drittel aufgeteilt und meine Energieversorgung in GELS und POWERRIEGEL entsprechend portioniert. Auf den ersten 79km hat das gut funktioniert und dementsprechend war mein Vorrat in Matting leer. Aber ich hätte in der Pause meine GELS aus dem DropBag auffüllen müssen. Vergessen. Vorbei. Wie Norman Bücher schreibt: "hinsetzen und heulen oder weitermachen".

Fest vorgenommen hatte ich mir, mein eigenes Ding zu machen. Weder auf Zeiten, noch auf andere Läufer noch auf "cut-off"-Zeiten zu achten: "Entweder komme ich auf meine Art zu Laufen durch, oder es reicht eben nicht. Egal ob vorne oder hinten, ich zieh mein Ding durch".

Das ging relativ gut, aber ich merkte in der Anspannung des Starts, dass ich mich sehr wohl an anderen orientierte. Zwar ging ich bewusst als Letzter über die Startlinie und wohl ließ ich es sehr langsam angehen. Aber zwischendrinn ist es sehr schwer, zu 100% die Disziplin aufrecht zu halten. Insbesondere, als ich mich motivierte und nur positive Gedanken zulassen wollte. Ein Spruch war zum Beispiel: "je länger es dauert, desto besser komme ich damit zurecht". Nun, der Gedanke war sehr verlockend und gut gewählt, nur stimmte er so nicht. Und er ließ mich schneller Laufen als es notwendig gewesen wäre. Gut geholfen hat mir allerdings, mich bei fast jeder Steigung in ein Gehen zu verpflichten statt weiterzulaufen. Und da es beim JUNUT sehr viele Steigungen gibt war das ein guter "Tempomat".

Nachdem sich die Anspannung des Anfangs ein wenig gelegt hatte, öffnete sich Zeit und Raum für die Umgebung. So viele Blüten am Weg, so viele Vögel. Spechte, Rotschwänzchen, Goldammern, in der Nacht die Käuzchen mit ihren Rufen. Phantastisch. Ich hatte mein Smartphone auf "Ultra-Energie-Sparen" gestellt und musste es für jedes Foto auf "normal" umstellen. Das war mir schnell zu lästig und so machte ich wenig Aufnahmen. Wäre ich alleine unterwegs gewesen, ich hätte dauernd Bilder machen wollen.

Ich hatte mir eine kleine Musiksammlung auf meinem Smartphone für den JUNUT eingerichtet, aber mir war nicht nach Musik. Und das überraschte mich selbst ungeheuer, denn ich mag normalerweise Musik sehr gerne beim Laufen. Durch meine mentale Vorbereitung wollte ich gern achtsam und fokussiert bleiben. Also sagte ich mir mantra-artig ständig: "achte auf deinen Atem", "achte auf deine Schritte", "achte auf Dich selbst". Auch hier war ich erstaunt, wie gut das funktioniert hatte. Weder wurde es mir langweilig, noch verfehlte es seine Wirkung. Ob es damit zusammenhängt, weiß ich  nicht. Jedenfalls rutschte ich nicht einmal in einen "doppelten Pulsschlag", wie ich es sonst schon manchmal im Sport habe. Ich brauch dann ein paar Minuten, bis der Puls wieder auf "normal" gefallen ist. Auch hatte ich mir extra eine Herzfrequenz-App eingerichtet, die per Kopfhörer meine Herzfrequenzzonen durchsagt. Aber all das war nicht nötig. Ich hatte einen perfekten Puls in den ganzen 36 Stunden und 27 Minuten, in denen ich unterwegs gewesen bin. Das ist für mich, neben der sportlichen Leistung von 170km, der größte persönliche Erfolg: sich selbst treu bleiben, "bei sich bleiben", achtsam sein.

Letztes Jahr hatte ich noch großen Respekt davor, die Nacht durchlaufen zu müssen und ohne Schlaf auszukommen. Es kam dann ja auch nicht dazu. Diesmal freute ich mich riesig auf die erste Nacht, die ich je durchgelaufen bin. Ich wollte die Erfahrung unbedingt machen und es ging erstaunlich gut. Weder die Müdigkeit war ein Problem, noch die Orientierung. Und viele viele Male dankte ich Gerhard und Margot in Gedanken dafür, dass sie in unendlicher Fleißarbeit die unzähligen (Gerhard sagte: 3000 !!!) Reflektoren an den Bäumen und Wegmarkierungen angebracht haben, damit wir Läufer sie in der Dunkelheit auch wirklich sehen.

Richtig ernst wird es mit der Nacht ohnehin erst in der zweiten, von Samstag auf Sonntag. So ist die Erfahrung derjenigen, die das schon geschafft haben. Für nächstes Jahr hängt da noch so ein kleiner Sack für mich zwischen Kastl und Dietfurt. Und sollte mich Gerhard wieder einladen, dann pflück ich mir diesen Sack der zweiten Nacht. Das ist sicher.

In allen VPs, die ich erreichte, herrschte eine tolle Stimmung. Ich fühlte mich herzlich willkommen, umsorgt, gepflegt und verwöhnt. Es ist unglaublich, was die Leute da mit Ruhe, Erfahrung und sehr viel Einsatz und Fleiß für uns Läufer auf die Beine stellen. Und es geht nicht nur um die reine Nahrungsaufnahme oder das Wasser auffüllen. Es geht um den kurzen Moment, in dem Dich jemand willkommen heißt, dich frägt wie es Dir geht und dich wieder aufrichtet. Also ich brauch das und ich hab es sehr genossen. Mein herzlicher, zu tiefst empfundener Dank an alle Euch da draußen, die ihr euch um uns gekümmert habt !

Ich wollte den JUNUT neben der sportlichen Herausforderung gerne für mich nutzen, um mir über einiges in meinem Leben klar zu werden. Persönlich kann ich beim Laufen mit am besten nachdenken. Ich brauche die Natur um mich herum, die frische Luft, den Wald und das Gras, das Moos und das summende Leben um mich herum. Das beruhigt mich ungemein. Der Rhythmus der Laufbewegung, mein Puls und meine Atmung synchronisieren sich auf wundersame Weise, und das ist der Treibstoff für die Seele und das Hirn. Also kann ich gut nachdenken und in mich horchen.

So hab ich beim JUNUT einiges über mich gelernt. Ich hab eigene Grenzen im Kopf und in den Beinen überwunden. Ich hab mich neu erfahren und neu erlebt. Ich habe etwas entdeckt an mir, was ich noch nicht kannte. 50 Jahre bin ich letzten Sommer geworden. Recht "alt" eigentlich. Und dennoch gibts noch viel zu finden und zu entdecken.

An der vorletzten VP zum Beispiel total nette Betreuer im Sportheim, die den JUNUT selbst schon gelaufen sind. Dann kam "Heike" an uns vorbei und in den VP. Auch sehr viel Erfahrung, alleine unterwegs, eine fantastische und bestens gelaunte Läuferin, der das alles nicht den Hauch von was zu machen scheint. Immer optimistisch, aber grundlegend, tief verwurzelt und nicht aufgesetzt oder übersprudelnd. Hab sie nur kurz gesprochen, aber "wow". Klasse.

Oder "Peter", der sein Tempo geht und dabei die Ruhe selbst ist. 60 Jahre (glaub ich, hoffentlich stimmts), aus Nbg. Sein Tempo, sein Weg, sein Ding. Total sympathisch.

Mit Lisa hab ich mir die letzten etwa 20 Kilometer geteilt. Wir konnten beide nicht mehr laufen sondern nur noch gehen, und das auch mehr schlecht als recht. Und auch wenn ich selbst nicht mehr gescheid gehen konnte, so konnte ich dennoch in dem ein oder anderen Moment selbst noch einmal helfen. Und auch ich war froh, den Rest nicht alleine runterwatscheln zu müssen. Fand ich gut. An der eigenen Grenze ist noch lange nicht Schluss. So viel hab ich schon mal kapiert. Und da hat die ganze Literatur auch recht: "die Distanz ist das, was dein Kopf daraus macht."

An den VPs hab ich teilweise die Blasen anderer TN gesehen und muss sagen: ich hab nicht eine einzige bekommen. Was bin ich froh ! - auch der Heuschnupfen hat mich größtenteils verschont, wofür ich sehr dankbar bin. Seit dem Januar, als ich das Ziel hatte, jeden Tag einmal laufen zu gehen, hatte ich immer wieder leichte Probleme mit dem linken Bein. Sprunggelenk und Knie. Im Laufe des JUNUT entwickelte sich das zu meinem eigentlichen Problem, weil ein "Laufen" irgendwann nicht mehr ging, sondern nur noch "gehen". An einer Stelle der Strecke muss man über die Bundesstraße, um zur VP zu gelangen. Dort steigt man über die Leitplanke. Tja, wenn man es kann. Mir fiel es sehr schwer, mein linkes Bein da noch drüber zu bekommen. Es schmerzte und ich merkte, das 170km ein gutes Ziel für mich sind. Ich hab gut trainiert und ich bin in guter Form, vielleicht meiner besten Form meines Lebens. Aber Fehler hab ich in der Vorbereitung auch gemacht, und die wurden nun Schritt für Schritt ausbezahlt. "Die Dosis macht das Gift", wie immer. Ich bin für mich auf einem guten Weg in Sachen "Achtsamkeit", aber für den nächsten Lauf der Kategorie eines JUNUT braucht es da noch mehr davon. Da müssen die Dinge wie Training, Vorbereitung, Ausrüstung und Ablauf einfach noch besser ineinander greifen. Und das wäre denn auch das, was den JUNUT für mich auch wirklich ausmacht: er ist "ganzheitlich". Es geht sicher um das "Laufen" und um das weite Laufen, um den Sport und den Event. Aber darunter geht es auch um das was Dich ausmacht. Es geht um Mitmenschlichkeit, um Verantwortung, um Helfen und Empathie. Es geht um die Natur und darum, wie wir mit ihr umgehen. Für mich jedenfalls. Es geht um "den Weg" im konkreten und im übertragenen Sinn. Aber gut, jeder mag da das Seine finden.

Am Ende des nicht enden wollenden Hatschers hinunter nach Kastl empfing mich unangekündigt und vollkommen überraschend meine große Tochter Sophie mit Eren. Sie waren beide extra von Nbg hierher gefahren um mich zu empfangen und abzuholen. Das war unbeschreiblich und hat mich zu tiefst gefreut. Es hat den ganzen JUNUT für mich abgerundet. So hatte das ganze eine "Mitte" bekommen, ein Zentrum.

Oder anders formuliert: "Du kannst ja gehen, bis du nicht mehr kannst. Aber alleine bist Du deswegen nicht."

Ganz herzlichen Dank für diese wichtige Erfahrung und mein Dank an alle anderen, die mich in Gedanken begleitet haben.


Ich bin also keine 239km gelaufen und auch nicht mit dem Rad wieder zurück. Ich habe anderes erreicht und gefunden.



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