Mittwoch, 30. Dezember 2015

Staffelstein 2

Vor dem Jahresende wollte ich gerne noch eine lange Strecke unter die Beine nehmen: von Hersbruck nach Bad Staffelstein. Vor knapp zwei Jahren bin ich das schon gelaufen, und ich wollte es mit einer leichten Modifikation der Route wiederholen.
Da ich in den letzten Wochen und Monaten viel gelaufen bin (für meine Verhältnisse) habe ich mir über die Kondition nicht die größten Gedanken gemacht. Vielmehr war es für mich spannend, wie ich mit dem Lauf umgehen werde. Denn alleine auf 95km, in der Dunkelheit starten und in die Dunkelheit laufen, da kommt mit Sicherheit die ein oder andere Krise, die es zu bewältigen gibt. Wie also werde ich auf Krisen reagieren ?
Noch wenige Tage vor dem Start hatte ich etwas "Beschwerden" im linken Schienbein. Ein Effekt, bei zu schneller Steigerung des Trainings. Das bekam ich aber gut in den Griff und so konnte es gestern um 5:30 Uhr los gehen.

Diesmal war mir wichtig, nicht zu viel dabei zu haben. Mein Rucksack sollte möglichst leicht sein. Im Großen und Ganzen hat das auch funktioniert, aber es könnte noch etwas weniger sein. So habe ich auch bewusst experimentiert: bei meinen Läufen hier taugt meine GARMIN-Laufuhr ganz hervorragend. Sie ist GPS-basiert und liefert mir Pulswerte und die Zeit pro Kilometer. Das ist gerade auf eine so langen Strecke hilfreich, um nicht zu schnell zu starten. Allerdings war auch klar, dass die Uhr mit der Dauer nicht klar kommt. Nach 6h ist meist Schluss und der Akku leer. So nahm ich das Ladekabel mit und ein kleines USB-Powerpack für die Uhr und mein Smartphone. Im Aufseßtal schließlich hatte die Uhr nach 6h noch etwa 30% und ich hab sie während dem Lauf aufgeladen. Leider aber stellt die Uhr sich auf "0" wenn sie geladen wird, und so war die Aufzeichnung vom Start bis ins Aufseßtal verloren. Das ist ärgerlich, gibt mir aber schon einmal wichtige Hinweise auf den JUNUT. Entweder werde ich sie dort nicht tragen, oder ich stoppe die Aufzeichnung bei jeder Pausenstation und hänge die Uhr derweil ans Ladekabel. Damit hab ich dann keine Gesamtzeit auf der Laufuhr (weil die Pausen dann nicht mit drinn sind), aber unterwegs die Informationen am Handgelenk, an die ich  mich gewöhnt habe.

Im Gegensatz dazu lief mein GARMIN-GPS-Navigationsgerät ganz hervorragend. Ich habe die Route am Vortag darauf übertragen und hab mir das Gerät mit dem Gürtelklip an den Rucksack-Schultergurt geklemmt. Mit den besten und teuersten Akkus (Mignon-Zellen, 2-450mA) lief das Gerät die ganze Strecke durch, also rund 12h ! - so gesehen kann ich die Uhr auch beim JUNUT daheim lassen. Aber offensichtlich bin ich ein Sicherheitsmensch, doch dazu später mehr.

Apropos "Orientierung": letztes Jahr im November hatte ich mir ein neues SAMSUNG S4 gekauft, ein "outdoor-handy" im edlen Look. Das hatte ich bisher auch immer dabei, und es tat seinen Dienst. Allerdings war der Akku immer recht schnell leer. Auch ein Ersatzakku brachte nach kurzer Zeit keine wesentliche Verbesserung. Ich baue aber inzwischen zu 100% auf die Orientierung mittels GPS per smartphone. Die App "komoot" ist das Beste, was es in der Hinsicht gibt: die Routenplanung daheim am PC, dann auf das Smartphone laden, mit "offline"-Karten und damit ohne ständige Internetverbindung. Wenn ich meinen bluetooth-Kopfhörer mit dem Smartphone verbinde und komoot starte, dann bekomme ich auf die Kopfhörer exakt die Navigationshinweise beim Laufen, die ich brauche. Das funktioniert ausgesprochen gut und ich bin mit dem System sehr zufrieden.
Mit dem S4 war beim letzten Lauf hier über die Hausberge (Entenberg) nach nicht mal 2,5h Schluss. Der Akku alle. Das hat mich so geärgert, dass ich das Gerät wieder verkauft habe (ein neuer Akku hätte es auch getan). Statt dessen habe ich meinen handy-Vertrag ausgebaut und damit ein neues HUAWEI-Smartphone bezogen. Das hielt gestern mit GPS und bluetooth und komoot und mit etwa 1h Musik auch komplett durch, und das ist schon mal eine Ansage. Absolut brauchbar das Gerät.

So war ich dann gestern mit komoot unterwegs, die mich bestens geleitet hat. Das GARMIN hatte ich ebenfalls an und "am Mann" und wenn ich mir mal bei einer Ansage nicht sicher gewesen bin, dann hab ich schnell auf das GARMIN geschaut und war mir sofort sicher, wo es lang geht. Doppelte Sicherheit also, aber das war OK. Zumal bei komoot auch gerne kleine und kleinste Wege einbezogen werden, die im richtigen Leben dann im Wald mitunter nur schwer zu finden sind bzw. gar nicht zu sehen sind. Das hatte mich zu Beginn immer verwirrt und verunsichert. Inzwischen sehe ich das aber gelassen. Da wo komoot "durch will" gibt es auch einen Weg. Mit dem GARMIN kann ich ihn schnell kontrollieren und die Umgebung scannen. Ich seh dann auf der GARMIN-Karte sofort, ob ich besser die einen oder anderen 100m weiter auf dem festen Weg bleibe oder doch komoot folge. Klappt beides tadellos.

Als Verpflegung hatte ich 500ml "Bananen-Ananas-Smoothie" dabei und 2 Trinkflaschen zu je 500ml mit Wasser. Darin hab ich in jeder Flasche ein "Powergel" gelöst, um neben der Flüssigkeit auch Kohlenhydrate zu mir zu nehmen. Außerdem diverse Energieriegel und zwei gekochte Kartoffeln mit Salz.
In dem Örtchen "Aufseß" bin ich Nachmittags in eine Wirtschaft eingekehrt und hab 1/2 Wasser bestellt, einen Kaffee, eine Fleischbrühe und hinterher noch einen Schwarztee. Vor allem die Brühe hat sehr gut getan, das Wasser hab ich in meine Flasche gekippt und mitgenommen.
An meinem Muskelkater heute merke ich aber, dass ich viel zu wenig getrunken habe unterwegs. Das kalte Wetter hat dazu verführt, wenig zu trinken. Das muss ich unbedingt beim JUNUT ändern. Ich war zwar nicht dehydriert, aber ich hätte locker das Doppelte oder gar Dreifache trinken sollen. Wie schreibt doch der Ultraläufer FUCHSGRUBER in seinem Buch "running wild":
Wenn ein Lauf schon nicht dein Freund war, dann war er vielleicht wenigstens dein Lehrer.
Vorgestern hab ich mir mit dem Erlös des S4 noch auf die Schnelle eine leichte und dünne Daunenjacke gekauft. Von "ONE-PLANET", wiegt 300gr und kostete 70€. Ausserdem konnte ich sie schön klein zusammenlegen und gut in meinem Laufrucksack unterbringen. Das tat ich, weil ich noch vom letzten Lauf nach Staffelstein weiß, wie es mich vor Kälte und Erschöpfung im ZIEL gefroren hatte. Zumal das ja ein Ziel ohne "support" ist: niemand wartet auf Dich, niemand versorgt Dich, niemand kümmert sich um Dich wie bei einer Veranstaltung. "free solo" eben. Daher ist trockene Wärme angesagt, zumal im Dezember. Wenn auch einem sehr warmen Dezember.
Als ich dann den Lauf nach 84km vorzeitig abgebrochen habe, in der Dunkelheit und dem Nebel in einem x-beliebigen Kaff stand, in dem nur einige wenige Häuser beleuchtet waren (und schon niemand Vorbeifahrendes auf die Idee kam zu fragen, ob ich was brauchen könnte - aber OK, kann ich auch nicht verdenken), da war ich um mein trockenes Radtrikot vom Alpen-Brevet und eben dieser Daunenjacke mehr als froh und dankbar ! (Trikot deswegen, weil es sehr leicht ist und der Kragen sich mit Reißverschluss "ganz dicht" machen lässt im Gegensatz zu normalen T-shirts. Und ich will ja keine Wärme abgeben, sondern bei mir behalten...)
Nebenbei stand bei der Jacke: "Daune garantiert nicht von lebenden Tieren gerupft". Na zum Glück. Sonst hätte ich sie auch nicht genommen. Aber ganz ehrlich: auf die Idee, danach zu fragen wäre ich auch nicht gekommen. Wie pervers kann der Mensch eigentlich noch sein ? (und das Rupfen ist nur eine nette Anekdote im ganzen verkorksten Verhältnis von Mensch zu Tier). Nein, ich bin mir da sicher: wir hinterlassen keinen guten Fußabdruck auf der Erde.

Durch den Abruch bei km84 und die anschließende Wanderung nach Scheßlitz von 6-7km war ich gezwungen, mit dem Taxi vollends nach Bamberg zu fahren (15km) und dort dann in die S-Bahn zu steigen.

Bisher war mein Credo eigentlich immer,  "nie und niemals" aufzugeben unterwegs. "Lieber kotzen statt aufhören". Und das macht durchaus Sinn, denn mit jedem so doch noch bewältigten Lauf trainiere ich ja das durchhalten und das "nicht-aufhören vor dem Ziel". Wenn ich abbreche, dann trainiere ich das aufgeben. So ist das leider.
Dennoch wollte ich gestern wissen, wie ich mit Krisen umgehe. Und ich habe gelernt, dass ich ein Sicherheitsmensch bin. Jedenfalls ist mir die Sicherheit nicht egal. Ich hab das doppelte GPS-System am Start, ich hatte neben dem Smartphone auch noch ein uraltes Nicht-Smartphone, mit dem ich nur im Notfall auch noch hätte telefonieren können (falls der Akku des Smartphone zu schnell leer gewesen wäre). Ich hatte Bargeld, EC-Karte und Ausweis dabei, um im Ernstfall weiterzukommen. Ich hatte die Route geplant und sogar warme Wechselklamotten dabei. Ebenso meine Rettungsdecke, Schmerzmittel, Kompressionsbinde und die Notfallpfeife am Rucksack. Auch mit alledem kann noch was schief gehen, aber das ist nicht der Punkt. Es ging ja "schief" gestern, weil ich bei km84 in Nacht und Klebenebel einfach nichts mehr gesehen habe. Und hätte es unbedingt sein müssen, dann hätte ich die letzten 14km auch noch kriechen, krabbeln oder robben können. Oder auf der Landstrasse bis Staffelstein laufen. Aber es kam nicht darauf an. Es hing nicht mein Leben daran und ich hatte nicht den Erfolg an das Ziel gehängt, wie beim ersten Lauf vor zwei Jahren.
Ich wollte gestern in mich spüren und in mich hören, wie es mir so ergeht auf der langen Strecke. Ich bin morgens knapp 3h durch die Dunkelheit im Wald gelaufen, hab etliche Rehe und einen Fuchs gesehen und war erstaunt über mich selbst: das ist kein Problem. Je öfter ich das mache, desto leichter wird es. Es ist kein Kunststück. Niemand kann das vom Sofa aus verstehen. Auch nicht, das es toll ist, im Schlafsack im Wald oder in den Bergen zu biwakieren. Ohne Hütte. Und je älter ich werde, desto bequemer werde auch ich. Auch ich ziehe inzwischen das Quartier in der Hütte dem Biwak vor. Aber es fehlt etwas, so schön die Hütte ist. Beim Lauf durch die Nacht, bei der kleinen Überwindung meiner selbst und dem kleinen Ausgesetztsein im Wald hier um die Ecke, da kommt etwas zurück von diesem sehr ursprünglichen Gefühl: es braucht nicht viel, und ich kann das. Jeder Augenblick bestätigt sich selbst. So ist es richtig, so wird es gemacht. Und das gilt auch für die Krisen bei einem Lauf wie gestern: "ja und ? - jetzt bin ich hier, und jetzt treffe ich EINE Entscheidung und mit der lebe ich dann. Nicht mehr und nicht weniger. Zusammen mit der Natur und dem sehr basalen Laufen, der Reduktion auf wenig (trotz der Technik), ein sehr "erholsames" Erlebnis.

Wie schrieb doch einer der Kommentatoren zum JUNUT, nachdem er ihn gelaufen hatte:
wer nach dem JUNUT noch nicht weiß, wer er ist, dem ist auch nicht zu helfen.
Ich hab ihn zwar noch vor mir, aber so sehe ich das auch.
 

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