Dienstag, 17. November 2015

Introspektion - NAFPUT 2015

Es gibt Dinge, die ich nicht wirklich gut beeinflussen kann. So geschehen am letzten Samstag, den 14.11.2015. Gerhard Börner hat zum ersten NAFPUT geladen, dem:
1. Non Aided Frankenalb Panoramaweg Ultra Trail (NAFPUT)

Den Frankenalb Panoramaweg mit 59km Länge und knapp 2.000hm an einem Stück zu durchlaufen, aber ohne Versorgung, ohne Verpflegungsstände und Karneval bei Start und Ziel. Einfach 30 Leute, die Lust zu laufen haben. Hier in der Fränkischen, direkt vor meiner Haustüre.

Genau auf SO ETWAS hab ich richtig Lust. Ich melde mich sofort bei Gerhard, stehe dann auf der Starterliste und bin guter Dinge. 59km ist eine Ansage, zumal wenn man alles selbst dabei hat und für sich selbst sorgen muss. Herrlich. Mehr als ein Marathon, weniger als der Rennsteig. Sollte also gut zu packen sein.

Damit nicht noch etwas dazwischen kommt, versorge ich mich pedantisch mit viel frischem Obst und Gemüse, nehme vorsorglich UMKALOABO und achte peinlich darauf, mich nicht von anderen Menschen durch Husten und Schnupfen anstecken zu lassen. Nicht so leicht, wenn man viel in Kindertagesstätten arbeitet, so wie ich. Dennoch gelingt es mir und ich freu mich richtig auf den NAFPUT. Ich will auch endlich die Leute kennenlernen, die da mitmachen und freu mich nicht nur auf den Lauf, sondern auch auf das (bleifreie) Bier hinterher im Gasthof.

Zwei Tage dann vor dem Start muss meine Schwiegermutter krankheitsbedingt die Kinderbetreuung von Hannah absagen. Da meine Frau beruflich zu tun hat, ist das das "no go!" für den NAFPUT und mich. Auch meine Große kann so kurzfristig nicht einspringen, und so lass ich den NAFPUT schweren Herzens ziehen. Irgendwie bringe ich den Samstag herum (mit Hannah im Erlebnisbad), aber der Tag ist träge und zäh wie Kaugummi.

Die Lösung für mich besteht darin, den NAFPUT dann eben selbst zu laufen, aber am Sonntag. "Free solo" und vor allem "by fair means". Das bedeutet, ich will den NAFPUT genau so laufen wie die anderen auch. Also nicht von der Haustüre hier starten, sondern in Lichtenegg. Das sind rund 20km von hier, also muss ich da irgendwie hinkommen. Da meine Familie das Auto brauchen (könnte), nehm ich das mit meinem Rad ins Visier.
Aber auch da führt sich die rote Linie des Ganzen fort. Ein Jahr fahre ich bisher mit meinem ScheibenbremsenCrosser, vor wenigen Tagen dann treffe ich einige Glasscherben und hab nen platten Reifen. Die Splitter finde ich nicht alle im Reifen, also gibt der Ersatzschlauch schon mal nach 200m wieder auf. Demzufolge kann ich nicht am Sonntag mit dem Crosser nach Lichtenegg, sondern ich nehm das MTB. Auch gut, dauert nur länger.
Meine Frau kommt am Sonntag nicht wie geplant um 9 Uhr zurück, sondern erst um 10:30 Uhr. Zum Gück ist die Große eher da als gedacht, und ich kann am Sonntag dann doch endlich um 9:45 Uhr mit dem Rad nach Lichtenegg aufbrechen.
Logistisch musste ich noch hinbekommen, neben der Laufausrüstung für 59km nun auch eine Fahrradausrüstung zu organiseren, die ich a) dort in Lichtenegg "auf der Wiese stehen lassen kann" und b) die nicht zu schwer und großräumig daher kommt. Geht aber alles irgendwie und ich pedaliere los. Durch Happurg, am See vorbei durch Förrenbach und vor Talheim links hinauf... und dann ? - wo war das doch gleich ? - Lichtenegg ??? - ich gebe zu, ich wohne zwar in Hersbruck, aber hier hinten war ich selten... noch nie. Also ziehe ich umständlich meine Kreise auf dem Rad und je länger ich dann fahre, desto sicherer werde ich mir, Lichtenegg doch irgendwie zu erreichen. Der Wind pfeift gewaltig, die Strecke zieht sich und ich brauche statt einer halben Stunde fast 60min bis ich endlich am Start bin.
Skurrieler Weise hab ich mein neues GARMIN etrex35 im Rucksack. Da ist der Track vom Gerhard auch drauf und ich werde das etrex nachher beim Laufen auch testen, ob es für den JUNUT taugt. Aber jetzt extra anhalten und nachsehen, auf dem Rad ? - nö. Nix da. Karte im Kopf. Muss gehen, geht auch.



In Lichtenegg schmeiß ich mich schnell in Schale für den Lauf, verstau meine Radsachen im Beutel vom letzten Rennsteig und mustere noch kurz die Autos am Parkplatz. Ein Auto aus Reutlingen ist da, das wird Max sein, der auch am Sonntag "solo" nachlaufen will, was gestern nicht geklappt hat. Er wollte aber schon um 8 starten, ich konnte ja frühestens um 10 Uhr und jetzt ist es bereits fast 11 Uhr, als ich endlich in die Gänge komme.
"F..., aber auch !". Der Wind schlägt mir ins Gesicht, es ist grau und ich komme ENDLICH los. Ich will mir noch einen PODCAST von "Bayern2" anhören, aber das bringt nichts, denn der Wind ist so laut, dass ich selbst mit meinen geliebten Kopfhörern nichts mehr verstehe. Also Musik aus, Podcast aus. Laufen. "Free solo" und "by fair means".

Das Stück des Weges von Lichtenegg nach Happurg kenne ich noch nicht, nur durch Waizenfeld bin ich schon mit dem RR gekommen. Also genieße ich die Strecke sofort. Der Boden ist rutschig, alles voller Laub. Die Luft frisch und nur einmal kommt mir im Unterholz ein Läufer entgegen. Später stehen zwei Rehe auf dem Weg, das wars dann.
Somit beginnt die Introspektion. Ich rechne hoch, dass ich mit einem vermuteten Schnitt von etwa 8km/h also um die 7:30 Stunden brauchen werde, um wieder im Ziel zu sein. "11+7:30= 18:30 Uhr". Da ist es stock finster und die Gegend zwischen Happurg und Lichtenegg schaut jetzt auch ned grad so aus, als wäre "stockdunkel" die allerbeste Idee. Zumal "free solo". Meine Lampe hab ich dabei, also nehme ich das durchaus in Kauf. Aber Lichtenegg doch noch irgendwie bei Tageslicht zu erreichen wäre schon schön.

Nach 1:15h komme ich oben an der "Houbirg" an. Ihr spektakulärer Blick über den Stausee hinüber zum Deckersberg ist atemberaubend. Allerdings bläst mich jetzt der Wind fast aus den Schuhen und so laufe ich sofort weiter. Ohne Bild und ohne Pause. Schade, der  Panoramaweg führt oberhalb der kleinen Höhle vorbei, die man von hier aus nicht sehen kann. Auch von den keltischen Schutzwällen, von denen Reste erhalten sind, ist auf dieser Linie nicht viel zu sehen. Aber egal. Auf dem Weg hinunter nach Happurg schreckt ein Reh aus dem Gebüsch neben mir und ich erschrecke vor dem Reh. Ich quere Happurg und gelange hinauf zum Deckersberg. Das ist mein Revier, hier kenne ich die meisten der Wege, hier fühle ich mich wohl. Mit einem Kehrtschwung von 20min zu Fuß wäre ich nun daheim, aber danach steht mir nicht der Sinn.
Die Hochebene und später der Abstieg nach Engeltal motivieren mich und bringen mich auf die saublöde Idee, hier "Zeit gut machen" zu können. Bis jetzt habe ich in 2h etwa 18km geschafft, da ist noch "Luft nach oben". Ich forciere das Tempo, was hier auch nicht all zu schwer ist. Mit Zeiten von 5:11min pro Kilometer sause ich dahin... und folge unten in Engeltal dem etwas verwinkelten Weg des Panoramaweges.



Hinauf geht es zum Buchenberg bzw. Nonnenberg. Die Ecke kenne ich wohl, eine meiner Lieblingsrunden. Schade ist es etwas, dass der Weg unten in Engeltal die herrlichen Eichenhaine ausgelassen hat, die etwas weiter im Norden stehen. Auch auf den Buchenberg hinauf gibts von Gerbserg kommend eine ausnehmend schöne Schlucht. Auch die bleibt rechts liegen. Aber egal. Ich freue mich auf den Buchenberg, denn oben werd ich kurz anhalten und eine Pause machen. Extra hierfür hab ich mir ein "smoothie" gemixt (Banane und Ananas, zusammen mit Spirulina) und in meinem Rucksack dabei. Ausserdem, als weiteren Versuch, eine gekochte Kartoffel. Die beiden Dinge schlinge ich hinunter (ich bin erst seit kurzer Zeit bei "smoothies" angekommen) und spüre in mich, wie es schmeckt hier draussen und wie es wirkt. Aber es fühlt sich ganz hervorragend an. Super Idee und mal was anderes als die übliche pappsüße Konsistenz von Powerriegeln.
Schnell weiter, schnell hinunter und weiter Richtung Kucha. Hier oben sind manche Streckenteile neu für mich, leider bleibt auch der wunderschöne "Klingenhofer Anger" rechts liegen. Dennoch. Ich fühle mich gut, ich bin mitten drinn. Nur die Zeit verrinnt mir unten den Fingern bzw. den Füßen.



Zwar läuft nun auch Musik auf meinen Ohren, aber ich versuche viel mehr, in mich hinein zu hören. Was geht in mir vor ? - Kann ich mich konzentrieren ? - wie lange ? - Wie lange auf einen Gedanken ? - über wen und über was denke ich nach ? - ich merke, wie ich mich das ganze Wochenende "gehetzt" fühle. Zuerst die verkorkste Aktion mit dem Samstag, die trotz aller Vorbereitungen nicht klappen wollte. Dann der heutige Tag, den ich gern schon um 5 oder 6 Uhr gestartet hätte und dann doch erst so spät beginnen konnte. Die Radelei unter Zeitdruck und die blöde Idee, mein inneres Tempo zu kündigen um Zeit zu gewinnen. Nee. Alles nicht meins. Ich bin nicht in meiner Mitte, stelle ich fest. Der Gedanke und die Hochrechnerei der Uhrzeiten lassen mich nicht los, nerven mich aber auch gewaltig. "Na und ? - dann ist es eben Nacht - hab ich schon oft gemacht. Gefällt mir sogar." - aber es ist nicht "rund". Es passt nicht für mich am heutigen Tag.
Als ich schließlich das schöne Tal hinunter nach Kainsbach laufe, da ist es fast schon dunkel. Etwa 17:30 Uhr. Ich halte an und muss einfach fluchen und schimpfen. Es KOTZT mich an ! - durch den Druck den ich mir selber mache (und zwar nur ich selbst - da hat niemand anderer Schuld !) werde ich immer unzufriedener. Die Beine sind müde, ich hab nun endlich etwa 47km hinter mir. Es wird dunkel, nein, es IST dunkel und bis ich in Förrenbach bin und dann noch hinauf nach Lichtenegg... mann, KEIN BOCK !
Beim Laufen daran zu denken "es fertig zu machen" und "endlich fertig zu werden" widerstrebt mir völlig. Da stellen sich mir die Nackenhaare auf. So will ich das nicht, und doch denke und empfinde ich gerade genau so. Das Ergebnis der Hetze. Ich bin heute gegen mein inneres ICH gelaufen, gegen meine Überzeugung und Vorstellung. So hab ich mich heute selbst torpediert.

Unten in Kainsbach gibt es eine "schwierige" Situation für mich: wenn ich nun nach links abbiege, dann bin ich in 3km zu Hause ! - Badewanne voll, "Riemen runter" und gut is. Nur mein Rad steht noch oben in Lichtenegg.
Wenn ich nach rechts abbiege, also auf dem Panoramaweg bleibe, dann komme ich nach Förrenbach. Dort arbeitet heute am Sonntag meine Große in der Dorfgaststätte. Ich kann mich dort also ganz gemütlich hinsetzen und eine Suppe bestellen und ein alkoholfreies Bier. "Links oder rechts ?" - ich setze mich in Kainsbach in die Bushaltestelle und sondiere erst mal die Lage, wie es mit der Großen und der Restfamilie aussieht: schnell fällt der Entschluss: wir treffen uns in Förrenbach und essen dort zusammen. Den Rest nach Lichtenegg schenke ich mir, auch die Heimfahrt mit dem Rad.
Als ich dort in Förrenbach ankomme ist es nach 18 Uhr. 50km seit Lichtenegg. Stockfinster. DNF. Da komme ich nicht drum herum. DNF. "Lumpige 59km, und ich DNF !" - nein, das ist nicht erhebend. Aber es passt zum Gesamtbild. Das war nicht rund, und ich hab es leider auch nicht "runder" gemacht. Ich hab es nicht geschafft, mich vom eigenen Zeitdruck zu befreien und "locker aufzuspielen" nur um des Laufens willen. Das hätte ich tun sollen.
Als ich später Hannah ins Bett bringe und ihr erzähle, wie es heute war für mich, da meint sie trocken: "aber Papa, du hast doch den ganzen Tag Zeit gehabt ?!" - Recht hat sie. Ich hatte das Privileg, den Tag für mich laufend nutzen zu können. Hab ich auch getan, und das war sehr gut. Eine schöne Runde, nur nicht zu Ende gebracht. Das ist beim Laufen ja eines der wichtigsten Dinge für mich: sich selbst richtig einschätzen und die Dinge zu Ende bringen. Daher fühlt sich das DNF auch nicht gut an.
Auf der anderen Seite hatte es etwas wichtiges für mich bereit: es lag nicht an den anderen, nicht an den Umständen, nicht an den Bedingungen und schon gar nicht am Material. Es wäre leicht, die "Verantwortung" wegzuschieben. Aber es lag im Grunde einzig an mir alleine: an meiner Einstellung zu dem Tag und dieser Situation. Es gibt immer widrige Umstände und Dinge, die nicht so laufen wie gedacht. Entscheidend ist, wie ich darauf reagiere. Und das war das größere Dilemma in der Nachbetrachtung. Ich hab es mit blindem "weiter so" und "schneller" probiert, um doch noch irgendwie ans Ziel zu kommen. Statt die Gelegenheit zu nutzen und meine Situation neu zu überdenken.
Als ich in der Dunkelheit mit meiner Stirnlampe hinunter nach Förrenbach gelaufen bin, da fühlte es sich plötzlich total rund und beruhigend an. Warum ? - weil ich es vorher mit mir geklärt hatte, das ich dort aufhöre. Es war mit mir ins Reine gebracht. Da wurde ich mit mir "rund". Hier aufzuhören war in Ordnung. Die sinnlose Hetze gegen die Zeit hatte hier ein Ende. Der Wald war dunkel, geheimnisvoll und herrlich. Ich fühlte mich sicher und es kam Ruhe IN mir auf. Endlich. Das ist es. Danach hätte ich mich ausrichten sollen. Schon viel eher. Schon vor dem Start. Schon vor dem ersten Schritt dieses Laufes.
Aber gut. Ich nehm das so mit.

Und ich werde die Runde privat etwas umändern, um meine Lieblingspunkte mit einzubauen. Der NAFPUT und ich, wir sind noch nicht ganz fertig miteinander...








 


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