200km auf dem Rad und 42km Marathon,
an einem Tag: 12.April 2015
Hersbruck - Bad Staffelstein (95km), Obermain-Marathon (42km), Rückfahrt (105km)
Am Sonntag den 12.04.2015 klingelt der Wecker um 02:00 Uhr. Zeit, aufzustehen. Um 3:06 verlasse ich das Haus, setz mich auf mein Crossrad und starte in die Nacht Richtung Bad Staffelstein. Es ist keine spontane Aktion und kein Event nach dem Motto "schaun mer mal", sondern eine präzise vorbereitete und durchdachte Aktion mit klaren Zielen: den Obermain-Marathon in Bad Staffelstein laufen, mit dem Rad anfahren und danach mit dem Rad wieder nach Hause. 96km Hinfahrt, 42km laufen, 105km Rückfahrt durch die Fränkische.
Um 3:30 fahre ich durch Lauf an der Pegnitz, es hat erstaunlich viele Menschen unterwegs. Die letzten Busse bringen die Nachtschwärmer nach Hause, Taxis fahren. Als ich an einer Bushaltestelle vorbeikomme, spenden mir die Wartenden spontan Applaus. All zu viele Radler auf einem Rennrad wird es hier um diese Zeit auch nicht geben... Zwar bin ich kurz irritiert, freu mich aber und ziehe weiter. Alles schnurrt wie geplant, alles ist im Lot, alles funktioniert. Für die Anfahrt hab ich mir genug Zeit eingeplant, einen 20er Schnitt auf dem Rennrad, das sollte ohne zu viel Energieverlust zu schaffen sein.
An meinem Lenkervorbau hab ich mein Smartphone platziert. Es läuft die APP "komoot" um mich problemlos über die geplante Route nach Bad Staffelstein an den Start zu lotsen. Parallel läuft die APP "runtastic", um mir im zeitlichen Intervall von 15 Minuten meine Streckenwerte und die Fahrzeit anzusagen. So kann ich permanent prüfen, ob ich im geplanten Zeitfenster bin. Das dient auch ganz wesentlich meinem Seelenheil, denn je besser die Umsetzung meiner Planung funktioniert, desto besser fühle ich mich.
Hinter Lauf pedaliere ich wieder durch die Dunkelheit und es begegnen mir kaum Autos. Die wenigen werden sich auch fragen, was ich hier in der Nacht mit dem Rad zu tun habe. Aber das ist Nebensache. Unerwarteter Weise macht mich diese Fahrt durch die Dunkelheit extrem ruhig. Es funktioniert technisch alles einwandfrei, meine Planung funktioniert und es gibt keine Störungen. Alles führt dazu, dass ich immer gelassener und ausgeglichener werde. Obwohl ich mich heute permanent bewege komme ich zur Ruhe. "Spass" ist nicht das richtige Wort, aber Begriffe wie "innerer Frieden", "Genugtuung" und "Seelenheil" treffen es ganz gut.
Mental hat es sich für mich bewährt, solche großen Aktionen und langen Distanzen gedanklich in gleiche Teile aufzutrennen. So ist die Anfahrt mit dem Rad heute das erste Drittel, der Marathon das zweite und die Rückfahrt das letzte Drittel. Ich verfalle so nicht so rasch dem Gedanken "wie weit ist es noch ?", sondern ich bleibe immer in einem "Drittel". Mein Smartphone sagt mir, ich bin schneller als geplant und das verschafft mir ein weiteres Zeitpolster und damit noch mehr innere Gelassenheit. Alles gut.
Auf halben Weg nach Bad Staffelstein fängt es an zu regnen. Mist. Ich hab keine wirklich regentaugliche Kleidung dabei, auch weil die Vorhersage keinen Regen gemeldet hat. Aber jetzt zieht es zu, die Strasse wird schnell nass und es regnet gleichmäßig und konstant. Nach kurzer Zeit hab ich eine nasse Hose,was unangenehm ist. Oben bleibt alles warm und trocken. Ich durchquere Forchheim und halte Ausschau nach einem Unterstand, aber nichts sagt mir zu. Außerhalb finde ich dann schließlich doch etwas. Es hört auf zu regnen, und ich gönne mir ein Powerriegel und: heißen Kaffee aus meiner Mini-Thermoskanne (0,25l). EXTREM GUT ! - heiß, Kaffee, Koffein. Das baut und putscht mich auf, vertreibt den Regenfrust und ich fahr motiviert weiter.
Vor Scheßlitz setzt sich die Morgendämmerung im Osten rechts von mir langsam gegen die Regenwolken durch, Bodennebel bildet sich durch die Feuchtigkeit und legt sich wie eine Decke über die Felder und Täler. Was für ein Anblick, was für ein geniales Gefühl. Was für ein Privileg, eine Verfassung und eine Motivation zu haben, um solche Dinge machen zu können !
Um 7:20 Uhr erreiche ich Bad Staffelstein und die Sporthalle, in der die Startunterlagen ausgegeben werden. Ich marschiere mit Rad hinein, hole meine Sachen, wieder Kaffee und setz mich erst einmal hin. Ich ziehe mich um (bzw. aus, denn ich hab alle Laufsachen an und die Radsachen darüber) und krame meine Laufschuhe aus dem Rucksack. All das dauert seine Zeit und ich lasse mir Zeit. Das erste Drittel des Tages ohne das geringste Problem geschafft. Die Beine sind nicht müde, ein Indiz für gute Kondition. Verschwitztes Trikot runter, trockenes Laufhemd drann und dann „Kaffee marsch !“. Herrlich. Alles bestens !
Genau um 08:30 Uhr startet der sehr reizvolle, 11. Obermainmarathon-Landschaftsmarathon, an dem ich zum vierten mal teilnehme. Für die 42km sind 320 Läufer und Läuferinnen gemeldet und es geht mit reichlich Applaus am Bahnhof vorbei los in Richtung Kloster Banz. Der Morgen ist frisch, die Stimmung extrem gut und ich genieße den Lauf und die Umgebung. Es gilt, nach dem Rad nun den Rhythmus für das Laufen zu finden. Weder zu schnell noch zu langsam. Im Hinterkopf habe ich ein Ziel von 3:45h, die würde ich sehr gerne erreichen, aber das ist für mich schon unrealistisch. Es gibt zahlreiche Höhenmeter zu bewältigen (680hm), und mit knapp 100 Radkilometern in den Beinen kann ich einfach keine Bäume mehr ausreißen. Außerdem muss ich mit bald 50 Jahren vielleicht auch akzeptieren, dass die Zeiten meiner persönlichen Bestzeiten hinter mir liegen...
Beim Marathon ist ein Drittel der Distanz bei Kilometer 14. Wie gewohnt ziehen die ersten Entfernungstafeln sehr schnell vorbei, und je länger ein Marathon dauert, desto länger dauert es dann später, bis wieder eine Kilometermarkierung geschafft ist. Aber ich versuche das zu ignorieren. „Kilometer 14 ist dein Freund“, denke ich mir, alles andere ist Nebensache. Ich nehme ich mein erstes Energiegel zu mir und fühl mich gut.
Das zweite Drittel der Strecke, von Kilometer 14 bis 28 beinhaltet die Markierung für die Hälfte der Strecke bei Kilometer 21. Die liegt fast genau oben auf dem Staffelberg, nachdem wir „14 Heiligen“ hinter uns gelassen haben. Gerade nach diesen Aufstiegen (die ich alle durchlaufe ohne zu gehen) werde ich etwas müde im Kopf und in den Beinen. Es ist Halbzeit, und das ist bei mir immer ein mental kritischer Punkt. Ich rufe mir meine Aktion vom 22.2.2014 vor Augen, als ich daheim von Hersbruck in 100km solo hierher nach Staffelstein gelaufen bin. Da kam ich auch an diesen Punkten vorbei und war völlig am Ende, aber selig. Auch kann ich mich gut motivieren, in dem ich hier ab dem Staffelberg die Läuferinnen und Läufer zähle, die noch an mir vorbei und hinauf auf den Staffelberg müssen. Als ich etwa auf die Zahl von 90 komme, wähne ich mich etwa im Mittelfeld der Marathonteilnehmer. Zusammen mit der Radanfahrt ein für mich guter Wert. Ich bin zufrieden.
Es geht hinunter vom Staffelberg und in einer langen Schleife laufen wir wieder zurück nach Staffelstein. „Kilometer 28 ist dein Freund !“ sage ich mir immer wieder, und endlich erreiche ich ihn auch. Aber es kostet „Körner“, und nicht umsonst spricht man vom „Mann mit dem Hammer ab Kilometer 30“. Aber auch den Mann mit dem Hammer „denke ich weg“. „Nix da. Nix und niemand kommt da. Und wenn überhaupt, dann komm ICH mit dem Hammer!“ - ich versuche, bergab im Windschatten anderer Läufer zu rennen und teilweise ein wenig Tempo zuzulegen. Das klappt mitunter auch, aber die Abstände zwischen den einzelnen Grüppchen werden gegen Ende des Marathons immer länger. Und es braucht Energie, wenn man lange niemand mehr vor sich hat, an dem man sich orientieren kann.
Bei Kilometer 38, also kurz vor Staffelstein, „muss“ ich dann doch mal kurz anhalten und pinkeln. Das stimmt zwar, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich nicht doch nach einem Vorwand gesucht habe, um mal kurz zu halten. Denn es ist mein erster Stopp. Zuvor bin ich alles durchgelaufen, jede Steigung, jede Verpflegung. Nichts sollte mich stoppen. Kurz danach kommt Verpflegung bei Kilometer 40, und auch hier halte ich zum trinken noch einmal kurz an. Wenige Augenblicke, aber angehalten. Jetzt können die letzten Meter lang werden, wenn ich nicht wieder ins Laufen zurückkehre. Also den Willen noch einmal gebündelt, und los.
Schließlich überquere ich nach 4:05h die Ziellinie. Geschafft. Müde, aber geschafft !
Das zweite Drittel ist beendet. Jetzt erst einmal Pause machen ! - ich gehe zurück in die Sporthalle zu meinem Rad, ziehe mich um und setze mich erst einmal eine lange Weile auf den Boden neben mein Rad – und tu nix. Meine Medaille baumelt um meinen Hals, FINISHER. Yeah !
Es liegt schon auch an diesem hervorragend organisierten Marathon, dass ich die Gegend und vor allem den Staffelberg in mein Herz geschlossen habe. Ohne diesen Marathon wäre ich nicht so oft hier gewesen. Ganz sicher hätte meinen 100er-solo nicht hierher gemacht. Mein herzlichen Dank an Karl-Heinz Drossel, dem Organisator dieses Laufes an dieser Stelle ! - sein Ziel für den Lauf, wie er selbst sagt: "das es den Leuten gefällt und sie gerne wieder kommen". Was mich betrifft hat er sein Ziel da ganz sicher erreicht.
Aber nun beginnt erst einmal mein persönliches "drittes Drittel" an diesem Sonntag: die Rückfahrt mit dem Rad quer durch die Fränkische.
Als ich endlich meine Sachen alle beieinander habe, alles sortiert und gepackt ist, steige ich wieder aufs Rad. Alles fühlt sich ruhig und langsam an, aber nicht „wacklig“ oder „grenzwertig“. Ich habe keine bestimmte Zeit einzuhalten, es geht um „nichts mehr“. Nur noch zurück fahren.
Das Wetter ist ausgezeichnet, die APP „komoot“ leitet mich hervorragend und ich komme auch auf dem Rad wieder in meinen Rhythmus. Unterwegs esse ich etwas bzw. „hau mir den Bauch voll“, weil ich den ganzen Tag außer den Energieriegel und den Gels noch nichts gegessen habe. Ich finde einen Gasthof mit Sonnenterrasse, laß es mir schmecken und die Sonne auf meinen Bauch scheinen.
Je länger die Rückfahrt dauert, desto näher komme ich ja wieder in bekannte Gegenden, die ich von anderen Touren und Familienausflügen her kenne. Hier wird es dann mental immer schwerer, die müder werdenden Knochen zu motivieren, das „Extra“ noch zu stemmen. Irgendwie verbindet mein Geist die Gegend eher mit „angekommen“ und „fast daheim“ als mit „Finale“ und „Schlußspurt“. Tatsächlich aber haben meine Beine durchaus noch Kraft, allein der Hintern mag nicht mehr.
Gegen 19:15 Uhr erreiche ich Hersbruck und bin am Ziel. Ich bin müde, ich bin ausgepowert und es reicht jetzt. Aber ich hab mein Plan umgesetzt. Es lief haargenau so, wie gedacht. Es hat alles funktioniert und sich bewährt.
Mein Material war super, die APPs haben hervorragend funktioniert, meine Kondition war und ist klasse und die Strategie und die mentale Stärke ist gut aufgegangen. Ich bin rundum zufrieden.
Hier die Route mit dem Rad.
Epilog, eine Woche später:
4 Wochen vor dem Supermarathon auf dem Rennsteig in Thüringen ist diese Aktion auch eine sehr gute Vorbereitung gewesen. Und während der Aktion „Bad Staffelstein“ hatte ich auch den Punkt der inneren Leere erreicht, der sich einstellt, wenn man lange genug unterwegs ist und die sich angestrengt hat. Das Hirn wird leer, der Bauch wird leer, die Beine werden leer. Nur der Wille nicht. Ich kann mich an viele Gedanken im Schlußbereich erinnern, die mir eine „Abkürzung“, ein „abbrechen“ oder ein „so wäre es doch viel leichter...“ einflößen wollten. Ich hab sie alle gedanklich weggekickt mit „will ich nicht“. „Ich werde“.
Betrachte ich mich nun, eine Woche später, so kommt es mir durchaus so vor, als wäre meine körperliche Grenze noch nicht erreicht. Beim Alpenbrevet auf der Platinrunde war ich ausgelaugter, am Rennsteig manchmal verzweifelter. Aber der Körper kann, so lange keine Defekte vorliegen, wesentlich mehr leisten als gedacht. Ich kann nur bestätigen, was so oft gesagt wird: eine Ausdauerleistung findet vor allem im Kopf statt. Bei mir ist das auch so.
Es ist ein feines Spiel zwischen Willensleistung und dennoch „auf den Körper hören“. Letzteres darf nicht vom Willen ausgeblendet werden. Ein „ich kann nicht mehr“ muss ich ernst nehmen, ein „ich will nicht mehr“ nicht. Interessant wird es in dieser Hinsicht also für mich erst am Ende, im letzten Drittel einer solchen Unternehmung. Wie werde ich damit umgehen ? - wie Sirenen schleichen sich die Gedanken an: „mach doch ne Pause“. „Setz dich doch da mal hin“. „Ruf doch an und lass Dich abholen“. Das ist sehr verlockend, und die eigentliche Leistung besteht darin, nicht nachzugeben. Nicht auf die Sirenen zu hören. Denn dann erlebe ich mich am Ende als ungemein „wirksam“.
Ich freu mich schon auf den Rennsteig !
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