Es ist 4:30 Uhr, Samstag den
22.02.2014. Mein Wecker klingelt und etwas widerwillig gebe ich nach
und stehe auf. Um 5:30 möchte ich los laufen, so der Plan. Von
Hersbruck nach Bad Staffelstein. 100km quer durch die Fränkische.
Ohne Veranstaltung, ohne Organisation und Verpflegungsstände, ohne
vorgegebene Faktoren. Einfach ich. Einfach zu Fuß. Einfach laufen.
Bis um 22:00 Uhr habe ich am Freitag an
meinem Laufrucksack rumgewerkelt. Trotz Planung, diverser Tests und
Abwägungen von Wochen habe ich zu viel dabei. Ich merke wie schwer es
ist, „los zu lassen“ und mir selbst zu vertrauen. Es gibt nicht
für jede Eventualität eine passende Ausrüstung. Ein Ding, ein
Gegenstand der Sicherheit. Und trotzdem hätte ich gern immer alles
doppelt und mit doppelter Absicherung.
Mein läuferisches Maximum liegt bisher
bei 72km auf dem Rennsteig. Ein wunderschöner, organisierter
Ultra-Landschaftslauf mit meist knapp 2.000 Teilnehmern nur auf
dieser Distanz. Dazu kommen dann Marathonis, Halbmarathon, Walker und
und und. Was aber genau mit mir nach diesen 72km passiert, zumal solo, weiß ich
noch nicht.
Ich habe mich vorbereitet so gut ich
konnte. Sowohl im körperlichen Training als auch mental. Ich habe
einige Bücher gelesen zu Ultra-Läufen, auch von zwei Läufern hier
aus der Fränkischen (vom niedrigsten zum höchsten Punkt Frankens,
130km, nonstop). Das alles führt zu einer inneren Klarheit bezüglich
meines Laufes: Es ist klar, dass ich das will, und zwar ganz genau
so, wie ich es geplant habe. Nicht irgendwie anders, nicht irgendwann
anders, sondern punktgenau definiert. Natürlich bin ich aufgeregt
und zappelig vor dem Start, aber es herrscht innere Klarheit. So
wird's gemacht.
Es ist ebenso klar, dass es bei einem
Streckenlauf mit Start und Ziel an unterschiedlichen Punkten einen
Weg zu durchlaufen gibt. Und rein von der Streckenführung und den
gegebenen Umständen ist es schwer bis unmöglich, zwischendrinn
abzubrechen. Gut, es ist nicht völlig unmöglich, aber sehr sehr
schlecht zu organisieren. Ich müsste dann irgendwelche Leute ansprechen, an
irgendwelchen Haustüren klingeln und nach irgendeiner Hilfe fragen. Das geht
natürlich immer. Sind ja keine 100km durch menschenleere Sahara.
Aber es ist so schwer vorstellbar und unangenehm in den Gedanken,
völlig fix und fertig und am Ende der Kräfte dann eine
Riesenwallung an Erklärungen der Umständen für Fremde loszutreten,
damit sie mir Hilfe leisten. Das führt zu einer
„entweder-oder-Haltung“ bei mir im Kopf. Es geht, oder es geht nicht. Ich folge
dem Rat von Norman Bücher und denke nicht „schau mer mal wie weit
ich komme“. Ich denke nur an den Zielbereich: „Ich werde nach Bad
Staffelstein laufen. Ich werde." Im Geist und vor Augen habe ich
immer die klare Vorstellung: Hersbruck – Bad Staffelstein. Punkt.
In den knapp 15h (14:45h etwa) kam nicht
einmal der Gedanke des „warum“ auf. Weder als Diskurs mit mir
selbst, noch als Rechtfertigungsversuch. Das Ding, der Lauf, ist wie
er ist. Er hat eine Eigenschaft und ich werde ihn laufen mit seiner
Eigenschaft. Das ist das was es ist.
Bis ich dann endlich los komme ist es
5:45Uhr. Aber egal. Kein Startschuss, keine Menschenmenge, kein
Hubschrauber. Dunkelheit, Straßenbeleuchtung. Es geht los.
Im Ohr habe ich meine Kopfhörer und
bekomme sprachliche Anweisungen wie im Auto-Navi, wie ich zu laufen
habe. Vom Start bis zum Ziel. So habe ich keine Karten, keine
ständige Internetverbindung, und auch nicht alle Punkte und Orte der
Strecke auswendig im Kopf. Allerdings habe ich die Tour lange genug
visualisiert, um eine gute Orientierung zu entwickeln,wie sie
verlaufen wird. Auch kenne ich die ersten 25km von anderen Läufen
bei ähnlicher Streckenführung. Dennoch: Komoot (so heißt das
Programm, danke Dagmar für den Tipp, hätte ich nie alleine
gefunden) leistet perfekte Orientierung. Sicher bleibt im
Zweifelsfall noch Zeit und Raum für Interpretationen, welcher Weg
nun gemeint ist, aber im Großen und Ganzen funktioniert es perfekt.
Ich laufe nach Norden, in den
Talsenken liegt noch der Morgennebel. Dunkelheit, Kälte. Die Stirnlampe (danke für den Tipp, Markus) macht genau das
was sie soll. Ich fühle mich sicher, kenne den Weg, horche in mich
und befinde alles für gut. Musik mag ich noch keine hören, ich
trabe nach den Anweisungen einfach los.
Am Armgelenk habe ich meine Sportuhr,
die mittels Bewegungssensor meine Geschwindigkeit und Entfernung
sowie den Puls misst. Noch aus „vor-GPS-Handy-Zeiten“. Die hat
den großen Vorteil, unabhängig von der ganzen Smartphonetechnik zu
funktionieren. Ich lass mir meine Geschwindigkeit anzeigen, damit ich
bedingt durch Adrenalin und Motivation nicht zu schnell einsteige.
Maximal mit 9km/h will ich laufen, und das klappt auch gut. Der
Pulsmesser funktioniert schnell nicht mehr (sehr schade), weil der
Brustgurt erneuert werden müsste. Werde ich demnächst mal tun.
Die Strecke habe ich so gewählt, dass
ich die ersten 1,5-2h mehr oder weniger entlang der Landstraße und
Nebenstraße laufe, um Zeit zu sparen und bei lockeren äußeren
Bedingungen erst mal auf Touren zu kommen. Ich schraube mich über
Kirchensittenbach nach Hohenstein hinauf, gleich die wesentliche
Steigung auf der Tour.
Trotz dem Asphalt setze ich hier sofort
meine Stöcke ein, und werde sie nicht mehr aus der Hand geben. Oben
bei Hohenstein die erste kleine Pause und das erste Photo. Herrlich.
Alles funktioniert perfekt.
Ich laufe am frühen Morgen Richtung
Spieß und Riegelstein, quere Stierberg, komme durch wunderschöne
Landschaften, die ich aus unserer Zeit der Familienwanderungen meist
kenne. Später geht es hinunter nach Gößweinstein und zur
Behringersmühle. Erste Marathondistanz geschafft.
Noch in Gößweinstein verlasse ich
kurz die Route, um an einer Tankstelle mein Wasser aufzufüllen. Beim
Start habe ich zwei Mehrwegplastikflaschen mit je 0,75 l Wasser dabei
gehabt, die erste ist nun leer, die zweite halb voll. Macht etwa
einen Liter auf 42km, das ist klar zu wenig.
An der Tanke muß erst der Service auf
mich warten, bis ich aus meinem Rucksack das Geld geangelt habe, und
dann muß ich ewig warten, weil inzwischen viele Leute ihre
Samstagsautowäsche einkaufen. Eine kleine Prüfung: vollgeschwitzt,
voll Adrenalin und mit Geldschein in der Hand gefühlte Ewigkeit
warten, bis alle ihre Waschkarte haben. Nicht das man auf die Idee
kommen könnte, den Läufer erst mal fertig abzukassieren, das scheiß
stille Wasser für 1.75€. Na gut. Auch die Prüfung bestehe ich.
Nicht weit entfernt setze ich mich auf
eine Bank und fülle mein Wasser um und ziehe einen Energieriegel aus
der Tasche. Setze mich kurz, bis die Kälte des Morgens mich auch hier in der Sonne erreicht. Etwas müde sind die Beine, genauer
gesagt, die Oberschenkel. Komoot meldet „Sie haben die Tour
verlassen. Sie befindet sich links von Ihnen in 800m Entfernung“.
Da ich weiß wo es lang geht, trabe ich wieder los. Von Gößweinstein
steil bergab zur Behringersmühle. Ein kurzes Stück auf der Strasse,
wie noch so oft heute.
In der Pause habe ich mir einen Podcast
von bayern2 eingelegt, der mir sehr gut gefällt und sehr interessant
ist (Körperbehinderter Millionenbetrüger, der jetzt seinen Glauben gefunden hat).
Unten in Behringersmühle angekommen
quere ich die Landstraße nach Forchheim und Komoot leitet mich auf
den Wanderweg ins traumhaft schöne Aufseßtal. Nicht weit,
vielleicht 1km, dann kommt eine Sitzbank, und hier werde ich meine
erste richtige Pause einlegen: mit Kocher, Nudeln und Kaffee !
Vor der Bank ist ein flacher Felsen,
perfekte Ablage für meine Kochutensilien. Alles vorbereitet, alles
durchdacht und bei einem Trainingslauf probiert: in die große
Kochertasse fülle ich 400ml Wasser, dann mit den Schweizer
Sturmstreichhölzern die Flamme entzündet. Währenddessen breche ich
die chinesischen Nudeln (Curry) und fülle 2 Esslöffel
Kartoffelbreipulver unter die Nudeln dazu. Bis das Wasser kocht
(kleine Tasse als Deckel) vergehen nur wenige Minuten.
Ich genieße
mit meinem 17gr Titanfaltlöffel (für 18€) die heißen Nudeln und
anschließend den Instantkaffee. Aus einer alten Folie zum Abdecken
der KfZ-Windschutzscheibe habe ich mir daheim ein kleines Stück
ausgeschnitten als Isolierschicht gegen die Kälte, wahlweise für
die Füße im Stehen oder für den Hintern im Sitzen auf der Bank.
Alles perfekt. Vor mir das herrliche Tal, die Sonne scheint, ich
alleine im Wald und Ruhe. Bewegung. Laufen. Alles im Lot, alles wie
geplant. Mir fällt der Spruch einer Bekannten ein: „wer
Gott zum lachen bringen will, der macht sich einen Plan“. Ich
schmunzel in mich hinein, löffel meine Nudeln, schlürfe Kaffee,
mach Bilder und fühl mich großartig.
Etwa 30 Minuten gönne ich mir für die
Pause, dann packe ich meine Sachen wieder ein (Klasse: ein Power-Gel
ist undicht und verklebt mir die Tasche mit den anderen...). Bis ich
anschließend mit Hilfe der Stöcke wieder in ein Lauftempo von
8-9km/h komme dauert es so seine Zeit. Deutlich spürbar der
Muskelkater in den Oberschenkeln. Aber der traumhafte Wanderweg und
der gute Podcast zusammen mit den Nudeln im Bauch und der Sonne im
Tal lassen schnell alles vergessen. Zu abwechslungsreich ist der Lauf
über den wurzelgesäumten Trail, zu viel gibt es zu sehen (und zu
viel sehe ich nicht im Vergleich zu Wanderern, weil ich dauernd auf
den Weg achten muß um nicht zu stürzen.) Nach einigen Minuten wird
es mir doch zu warm, und ich ziehe während dem Laufen die Jacke
wieder aus und stopf sie in den Rucksack. Dauert eine gefühlte
Ewigkeit, aber nachdem ich anhalten als nicht so gute Option für die
Beine empfinde geht das alles auch so, irgendwie.
Bei Doos quere ich immer noch dem
Aufseßtal folgend eine kleine Landstrasse und bin von nun an alleine
mit dem Tal, dem Fluß und dem Wanderweg. Nur einmal überhole ich
ein wanderndes älteres Paar und höre noch Wortfetzen hinter mir von
der Diskussion der beiden über den Nutzen von Wander- bzw.
Teleskopstöcken. Sie hatte welche, er nicht. Und dann rennt so ein
Spinner vorbei, rennt, mit Stöcken und Rucksack... ts ts ts.
Aber die Trailrunningstöcke sind
einfach genial für solche Vorhaben. Sie entlasten die Gelenke, geben
Stabilität und zusätzliche Sicherheit. Ich ahne noch nicht, wie
sehr ich sie brauchen werde, wenn ich vom Staffelberg nach Bad
Staffelstein hinunter schleichen werde...
Seit Doos gibt es im Tal nur noch den
Weg, den Fluß und mich. Keine Strasse mehr, keine Ortschaften. Ein
kleines Paradies. Der Himmel wird grau, es nieselt leicht, aber das
stört nicht im geringsten.
Ich werde nun etwa die Hälfte der
Distanz haben, aber ich zwinge mich, nicht daran zu denken. Ich habe
mir den Lauf in drei Teile geteilt. 3x30km und dann noch 10 bis ins
Ziel. Also denke ich in 30er-Rhythmen, nicht in Hälften. Und schon
gar nicht, wie weit es noch sein wird. Und auch nicht, ob ich es noch
schaffe. Ich arbeite also gerade an meinen zweiten Dreißigern,
soweit ist alles gut. Ich merke, wie es sich langsam zieht und dehnt.
Es geht nicht mehr so schnell wie am Anfang. Damit meine ich nicht
die Beine, sondern die Hinweistafeln am Weg. Bis dahin und dorthin
noch 4,5km oder ähnliches. Bis ich dann wirklich dort bin kommt es
mir so vor, als wäre ich schon eine kleine Ewigkeit unterwegs.
Irgendwo im Tal sehe ich einen großen
alten Baum, der mindestens 1m im Durchmesser seines Stammes hat.
Unten fällt mir der Einschlag auf, und ich denke noch: „hä, wieso
wird dieser schöne alte Baum hier mitten im Tal gefällt ?“ - bis
es zu mir durchtickert, dass heute niemand mehr Bäume mit der Axt
fällt, und die „Einschläge“ in Wirklichkeit das noch nicht
vollendete Werk eines Biber ist.
Ach wie schön ist das hier. Das muss
ich unbedingt mal meinen Eltern zeigen (ohne deren Hilfe ich nicht
mein Material hätte, mit dem ich hier heute so gut zum Laufen komme.
Vielen Dank euch noch einmal an dieser Stelle !).
Über Wüstenstein und Aufseß geht es
bis Neuhaus, wo ich endgültig das Aufseßtal verlasse. Ab jetzt geht
es wieder „querfeldein“ über „Kotzendorf“ nach Königsfeld
und Steinfeld. In Steinfeld trinke ich im Stehen in einem Gasthof
eine kleine Cola und lasse mein Wasser auffüllen. Der Stammtisch
schaut Bundesliga und nimmt mich nur kurz zur Kenntnis. 1.20€ für
die Cola, und „tschüß“. Langsam wird es schwierig, wieder ins
Laufen zu kommen. Gehen ist prima, laufen schwer. Beim Übergang ist
es mehr ein humpeln, als ein Laufen. Aber wenn dann irgendwann der
„Motor“ anspringt und „auf Drehzahl“ kommt, dann geht es. Den
Stöcken sei Dank. Mit der beste Ausrüstungsgegenstand. Einfach
genial.
Mein nächstes Ziel im Kopf ist die
Über- bzw. Unterquerung der Autobahn von Bamberg nach Bayreuth. An
dieser Stelle habe ich eine Distanz von 76km. Ab da also noch 25km.
Aber es dauert immer länger, bis ich endlich irgendwann gehend die
Autobahn unterquere.
25km gehen wären noch 5h. Es dämmert
bereit, es ist gegen 17:30 Uhr. Seit 5:45Uhr bin ich unterwegs. Noch
5 Stunden, dann wäre ich um 22:30 Uhr in Bad Staffelstein. Das ist
mir doch eindeutig zu spät. Mir ist klar, dass ich wieder in die
Dunkelheit kommen werde. Aber mir ist nicht klar, wie lange meine
Stirnlampe noch Strom haben wird.
Wieder und wieder setze ich zum Laufen
an. Bin ich erst einmal in Fahrt, geht es ganz gut. Bis zur nächsten
Steigung, bei der ich dann wieder gehen werde. Zum Glück gibt es
nicht so viele Steigungen mehr auf meinem Weg...
Es wird immer dunkler. Ich rufe mir den
Verlauf der Strecke ins Gedächtnis, weiß ungefähr, wo ich bin und
was noch kommt. Ich habe die Route so gelegt, dass ich auf jeden Fall
über den Staffelberg kommen werde. Ich laufe an Hinweisschildern
vorbei (Bad Staffelstein, 12km) und bleibe fest bei meiner Route (5km
mehr als jetzt hier abzuzweigen). Bis jetzt lief alles nach Plan. Ich
will über den Staffelberg, ich will meine Route laufen und nicht auf
irgend einer Nebenstrasse zum Ziel schleichen. Also geht es weiter.
Im Rhythmus der Ultraläufer, wie ich gelesen habe: ein Stück gehen,
dann wieder laufen. Und so weiter. Irgendwie schmilzen die Kilometer
dahin, ich rechne runter für mich: weniger als 20km, weniger als
17km, und es wird immer dunkler.
Als der Himmel schließlich ganz dunkel
wird und das letzte Licht des Tages im Westen verschwindet (in
Richtung Staffelberg), werde ich von Komoot wieder über eine
Ortsverbindungsstrasse geleitet. Ich trage meine hellgelbe
LIDL-“stoppt-alles-Jacke“, aber dennoch möchte ich gern besser
gesehen werden. Am Fußgelenk befestige ich ein Reflektionsband, am
Arm eine nach hinten ausgerichtete blinkende Leuchtdiode. Damit ich
selbst was sehen kann die Stirnlampe wieder auf dem Kopf.
So geht es auf der Strasse durch Wald
und über Felder. Mit immer neuem Horizont, und dennoch irgendwie
„endlos“. Die Dunkelheit reduziert mich wieder auf den kleinen
Bereich vor mir, den meine Lampe ausleuchtet.
Etliche Autofahrer kommen vorbei, nur
ein Vollidiot blendet mich wild gestikulierend auf und ab, weil er nicht blickt, das man
auch zu Fuß um die Zeit noch unterwegs sein kann - und darf. Rücksicht wohl ein Fremdwort, wiedermal. Natürlich laufe
ich links und bin auch hinreichend deutlich zu erkennen. Ich ärgere mich massiv
(von 100 netten Autofahrern ist doch immer einer dabei...),
unterdrücke aber den Stinkefinger. Nicht weil ich jetzt nach knapp 80km noch
Menschenfreund wäre, sondern weil mich Ärger Kraft kosten würde.
Zusätzliche Kraft. Und die brauche ich zum Laufen. Außerdem will
ich zurück in meine innerer Ruhe. Der Depp verdient es nicht, mir
meine Ruhe zu nehmen. Wie singt Daniel Wirtz doch so treffend:
"Hey Du Wurst, wer bist denn Du ?
- laber mich hier bloß nicht zu.(...)
Arroganz mit Frust gepaart
ist nicht die Art die ich mag. (...)
Geh mir bitte aus dem Licht,
Du interessierst mich nicht."
(eine der beiden Platten, die ich mir während des Laufes anhöre und meine Seele füttere: Daniel Wirtz, "11 Zeugen").
"Hey Du Wurst, wer bist denn Du ?
- laber mich hier bloß nicht zu.(...)
Arroganz mit Frust gepaart
ist nicht die Art die ich mag. (...)
Geh mir bitte aus dem Licht,
Du interessierst mich nicht."
(eine der beiden Platten, die ich mir während des Laufes anhöre und meine Seele füttere: Daniel Wirtz, "11 Zeugen").
Die Nacht umfängt mich langsam, ich
verlasse die Straße und biege auf einen sehr lang gezogenen Feldweg
ein. Der windet sich zwischen Feldern und Wäldern dahin, rechts
unten sind Lichter einer Ortschaft zu erkennen. Ich habe meine Route
im Kopf und weiß, ich nähere mich dem Staffelberg.
Ursprünglich hatte ich vor, hier noch
einmal den Kocher anzuwerfen. Aber weit gefehlt. Ich will nur noch
laufen, weiter durch die Dunkelheit. Irgend etwas mit über 10km
werden es noch sein. 2 Stunden wenn ich gehe. Also gehe ich nicht. Ich
laufe weiter.
Mit der Dunkelheit geschieht etwas
Unerwartetes mit mir: eigentlich wollte ich sie vermeiden. Ich wäre
gern noch bei Tageslicht angekommen. Noch ein Foto vom Staffelberg
mit Blick auf Bad Staffelstein, so ein naiver Gedanke. Nun aber
beruhigt mich die Dunkelheit viel mehr als das sie mich verunsichert.
Ich sehe keine Distanzen mehr, es gibt nur noch mich, den Weg oder
die Strasse und den Lichtkegel. Daher fällt es auch „leicht“,
nicht mehr zu gehen sondern im Laufen zu bleiben. Unglaublich. Nach
über 90km kann ich noch ganz gut laufen. Ich sag mir immer wieder:
„es spielt sich alles im Kopf ab, nicht in den Beinen“. Und
irgendwie stimmt das dann auch. Die noch fehlende Wegstrecke zu sehen
wäre eine Qual gewesen („noch immer so weit..“). So aber ist es
ein positives Vakuum in Raum und Zeit. Ich laufe der Stimme von
komoot hinterher und staune noch immer, sie macht keine Fehler. Nur
richtig interpretieren muss ich sie manchmal. Ein Blick nach oben:
Sternenhimmel. Im Westen leuchtet das Licht der Stadt über dem
Staffelberg. Oben gibt es ein Haus des DAV (glaube ich), ich sehe
deutlich Lichter.
Die Strasse (kaum ein Auto) führt
weiter Richtung 12 Apostel, vorher am Waldrand der Parkplatz. Ab da
sind es noch 7,6km bis zum Ziel. Das hab ich im Kopf. Endlich sagt
die Stimme von komoot: „Bei nächster Gelegenheit links auf
Feldweg“ und „jetzt links“. Ich hab es quasi geschafft. Runter
von der Strasse, auf den Weg den ich vom herrlichen Obermainmarathon
schon kenne. Ich gönne mir ein Stück gehen. „Folge dem Weg 3,8km“
sagt komoot und ich schlucke. Mein Kopf hatte diesen Wegpunkt zu sehr
als Ziel fixiert auf dem Weg durch die Dunkelheit. Jetzt ist er
erreicht, aber es fehlen noch fast 8km bis zum Ziel. Oder 1,5h wenn
ich gehe. Also gehe ich nicht. Ich laufe wieder.
Zwischenzeitlich denke ich, was ich
wohl machen würde, wenn jetzt die Lampe versagen sollte. Markus
meinte, 4h reiche der Akku. Die werde ich bald haben. Zur größten
Not könnte ich mit der Taschenlampenfunktion des Smartphone den Weg
suchen. Aber der ist hier oben eh breit genug und dadurch selbst bei
Nacht noch ohne Licht zu erkennen. Und wenn ich gar nichts mehr sehen
würde, so wäre noch das Haus mit den Lichtern oben am Staffelberg.
Überhaupt wird manches Problem jetzt
sehr relativ. Ich glaube, ich habe viel überlegt und geplant bei
diesem Sololauf über 100km, aber nicht alles ist planbar und nicht
alles wäre ein riesen Problem. Es gibt auch Lösungen im „hier und
jetzt“, situativ und spontan. Es tut gut, das zu merken.
Ich erreiche den Punkt am Staffelberg,
an dem es entweder nach oben geht (und es wenig weit ist auf den
Gipfel) oder nach unten, nach Bad Staffelstein. Ich mag diesen Punkt
sehr, ich kenne die steile Kurve des Weges genau von meinen
Teilnahmen am Marathon in Bad Staffelstein. Hier, genau an dieser
Stelle, hab ich meinen ersten Marathon abgebrochen. Im Frühjahr 2012
, als ich in der Nacht vor dem Marathon nur wenige Stunden schlafen
konnte, als ich mir mit den Pollen des Frühlings die letzte Energie
aus dem Körper gehustet hatte. Da war zum ersten und letzten mal
vorzeitig Schluss für mich. DNF, „did not finish“.
In der Dunkelheit verabschiede ich mich
von den letzten Schritten des Laufens. Ab hier geht nur noch im
Gehen. Es geht den Berg hinunter, meine Oberschenkel brennen und ich
muss sehr gut aufpassen, nicht zu stolpern oder zu stürzen. Wieder
leisten die Stöcke ausgezeichnete Dienste. Ohne sie könnte ich
nicht mehr gerade dem Weg folgen. Das klingt komisch, aber wer
innerlich schon einmal an so einen Punkt der Erschöpfung gekommen
ist, weiß was ich meine.
Ich gehe ganz langsam den Staffelberg
hinab. Ich genieße es fast. Ich spüre, wie das ein schwieriger
Punkt wird, denn ich habe mein Ziel nach 15 Stunden endlich erreicht.
Das Ziel zu erreichen ist schwierig, denn es fehlt der Sinn für den
nächsten Schritt. Er kann zunächst einmal nur negativ formuliert
werden: „jetzt nicht hier umfallen. Nicht so kurz vor dem Ziel
aufgeben, usw.“ Alles negative Gedanken. Ich wische sie weg. „Mein
Ziel“. Ich habs geschafft.
Ich spüre, wie mir die Kälte in die
Finger schleicht. Ich höre die Autobahn, die ich noch überqueren
muß. Alles geht nur noch in Zeitlupe. Egal. Ich kenne den Weg, frage
dann doch noch ein oder zwei Passanten. Nur nicht jetzt noch
verlaufen in Bad Staffelstein. Klingt komisch, aber jeder Meter Umweg
würde mich jetzt innerlich ruinieren.
Schließlich erreiche ich den Bahnhof.
Geschafft.
Es ist mir viel zu kalt zum ausruhen
oder hinsetzen. Kurz diskutiere ich noch mit Taxifahrern, was eine
Fahrt nach Hersbruck kosten würde. 180€ sind dann doch zu happig
(„was zu Fuß ? - gelaufen ?? - das haben wir ja noch nie gehabt
!!! - mit dem Rad schon, aber zu Fuß ? - an einem Tag ???“)
Also warte ich auf den Zug, der in
45min fährt. Ich gehe nebenan in einen Gasthof, trinke eine Cola und
zwei heiße Tassen Tee.
Die Zufahrt dauert fast zwei Stunden,
davon 1:20h mit nem vollgestopften Abteil Jugendlicher, die in dem
Zug ihre Party feiern, bzw. dort „vorglühen“. Naja. Mich nervt
es etwas, zu stark ist der Kontrast. Aber von mir will ja keiner was
(verschwitzt, schlammig, verschmoddert, mit Rucksack und Stöcken),
und daher lässt mich der Kontrast auch wieder schmunzeln.
Um 23:45 gehe ich die letzten Schritte
vom S-Bahnhof nach Hause.
Endgültig geschafft.
Heute, Montag den 24.2.2014, hatte ich
eine Idee: ich könnte von hier aus das Pegnitztal hinauf laufen,
dann Richtung Fichtelgebirge auf den Ochsenkopf (etwa 75km von hier)
und dann hinunter nach Bayreuth. Das wären auch 100km, inklusive
Berg. Ha !
Im Nachhinein bin ich überrascht, wie
gut ich den Lauf gemeistert habe. Alles lief wie am Schnürchen. Ich
war körperlich und mental gut vorbereitet. Es gab keine Ängste,
keine Verzweiflung, kein inneren Knoten. Im Gegenteil. Das alles
alleine gemacht zu haben, von der Idee bis zur Durchführung, von der
Umsetzung bis zum letzten Schritt, ohne Verpflegungsstände, ohne
Streckenposten, ohne Start und Zieleinlauf, ohne Publikum und ohne
Medaille. Nur ich und meine Schuhe. Und etwas Ausrüstung.
Genial.
Nicht zu toppen.
Ich komme wieder !