Montag, 24. Februar 2014

22.02.2014 Hersbruck - Bad Staffelstein. 101km. Free solo.


Es ist 4:30 Uhr, Samstag den 22.02.2014. Mein Wecker klingelt und etwas widerwillig gebe ich nach und stehe auf. Um 5:30 möchte ich los laufen, so der Plan. Von Hersbruck nach Bad Staffelstein. 100km quer durch die Fränkische. Ohne Veranstaltung, ohne Organisation und Verpflegungsstände, ohne vorgegebene Faktoren. Einfach ich. Einfach zu Fuß. Einfach laufen.

Bis um 22:00 Uhr habe ich am Freitag an meinem Laufrucksack rumgewerkelt. Trotz Planung, diverser Tests und Abwägungen von Wochen habe ich zu viel dabei. Ich merke wie schwer es ist, „los zu lassen“ und mir selbst zu vertrauen. Es gibt nicht für jede Eventualität eine passende Ausrüstung. Ein Ding, ein Gegenstand der Sicherheit. Und trotzdem hätte ich gern immer alles doppelt und mit doppelter Absicherung.
Mein läuferisches Maximum liegt bisher bei 72km auf dem Rennsteig. Ein wunderschöner, organisierter Ultra-Landschaftslauf mit meist knapp 2.000 Teilnehmern nur auf dieser Distanz. Dazu kommen dann Marathonis, Halbmarathon, Walker und und und. Was aber genau mit mir nach diesen 72km passiert, zumal solo, weiß ich noch nicht.

Ich habe mich vorbereitet so gut ich konnte. Sowohl im körperlichen Training als auch mental. Ich habe einige Bücher gelesen zu Ultra-Läufen, auch von zwei Läufern hier aus der Fränkischen (vom niedrigsten zum höchsten Punkt Frankens, 130km, nonstop). Das alles führt zu einer inneren Klarheit bezüglich meines Laufes:  Es ist klar, dass ich das will, und zwar ganz genau so, wie ich es geplant habe. Nicht irgendwie anders, nicht irgendwann anders, sondern punktgenau definiert. Natürlich bin ich aufgeregt und zappelig vor dem Start, aber es herrscht innere Klarheit. So wird's gemacht.

Es ist ebenso klar, dass es bei einem Streckenlauf mit Start und Ziel an unterschiedlichen Punkten einen Weg zu durchlaufen gibt. Und rein von der Streckenführung und den gegebenen Umständen ist es schwer bis unmöglich, zwischendrinn abzubrechen. Gut, es ist nicht völlig unmöglich, aber sehr sehr schlecht zu organisieren. Ich müsste dann irgendwelche Leute ansprechen, an irgendwelchen Haustüren klingeln und nach irgendeiner Hilfe fragen. Das geht natürlich immer. Sind ja keine 100km durch menschenleere Sahara. Aber es ist so schwer vorstellbar und unangenehm in den Gedanken, völlig fix und fertig und am Ende der Kräfte dann eine Riesenwallung an Erklärungen der Umständen für Fremde loszutreten, damit sie mir Hilfe leisten. Das führt zu einer „entweder-oder-Haltung“ bei mir im Kopf. Es geht, oder es geht nicht. Ich folge dem Rat von Norman Bücher und denke nicht „schau mer mal wie weit ich komme“. Ich denke nur an den Zielbereich: „Ich werde nach Bad Staffelstein laufen. Ich werde." Im Geist und vor Augen habe ich immer die klare Vorstellung: Hersbruck – Bad Staffelstein. Punkt.

In den knapp 15h (14:45h etwa) kam nicht einmal der Gedanke des „warum“ auf. Weder als Diskurs mit mir selbst, noch als Rechtfertigungsversuch. Das Ding, der Lauf, ist wie er ist. Er hat eine Eigenschaft und ich werde ihn laufen mit seiner Eigenschaft. Das ist das was es ist.

Bis ich dann endlich los komme ist es 5:45Uhr. Aber egal. Kein Startschuss, keine Menschenmenge, kein Hubschrauber. Dunkelheit, Straßenbeleuchtung. Es geht los.

Im Ohr habe ich meine Kopfhörer und bekomme sprachliche Anweisungen wie im Auto-Navi, wie ich zu laufen habe. Vom Start bis zum Ziel. So habe ich keine Karten, keine ständige Internetverbindung, und auch nicht alle Punkte und Orte der Strecke auswendig im Kopf. Allerdings habe ich die Tour lange genug visualisiert, um eine gute Orientierung zu entwickeln,wie sie verlaufen wird. Auch kenne ich die ersten 25km von anderen Läufen bei ähnlicher Streckenführung. Dennoch: Komoot (so heißt das Programm, danke Dagmar für den Tipp, hätte ich nie alleine gefunden) leistet perfekte Orientierung. Sicher bleibt im Zweifelsfall noch Zeit und Raum für Interpretationen, welcher Weg nun gemeint ist, aber im Großen und Ganzen funktioniert es perfekt.

Ich laufe nach Norden, in den Talsenken liegt noch der Morgennebel. Dunkelheit, Kälte. Die Stirnlampe (danke für den Tipp, Markus) macht genau das was sie soll. Ich fühle mich sicher, kenne den Weg, horche in mich und befinde alles für gut. Musik mag ich noch keine hören, ich trabe nach den Anweisungen einfach los.

Am Armgelenk habe ich meine Sportuhr, die mittels Bewegungssensor meine Geschwindigkeit und Entfernung sowie den Puls misst. Noch aus „vor-GPS-Handy-Zeiten“. Die hat den großen Vorteil, unabhängig von der ganzen Smartphonetechnik zu funktionieren. Ich lass mir meine Geschwindigkeit anzeigen, damit ich bedingt durch Adrenalin und Motivation nicht zu schnell einsteige. Maximal mit 9km/h will ich laufen, und das klappt auch gut. Der Pulsmesser funktioniert schnell nicht mehr (sehr schade), weil der Brustgurt erneuert werden müsste. Werde ich demnächst mal tun.

Die Strecke habe ich so gewählt, dass ich die ersten 1,5-2h mehr oder weniger entlang der Landstraße und Nebenstraße laufe, um Zeit zu sparen und bei lockeren äußeren Bedingungen erst mal auf Touren zu kommen. Ich schraube mich über Kirchensittenbach nach Hohenstein hinauf, gleich die wesentliche Steigung auf der Tour.
Trotz dem Asphalt setze ich hier sofort meine Stöcke ein, und werde sie nicht mehr aus der Hand geben. Oben bei Hohenstein die erste kleine Pause und das erste Photo. Herrlich. Alles funktioniert perfekt.



Ich laufe am frühen Morgen Richtung Spieß und Riegelstein, quere Stierberg, komme durch wunderschöne Landschaften, die ich aus unserer Zeit der Familienwanderungen meist kenne. Später geht es hinunter nach Gößweinstein und zur Behringersmühle. Erste Marathondistanz geschafft.

Noch in Gößweinstein verlasse ich kurz die Route, um an einer Tankstelle mein Wasser aufzufüllen. Beim Start habe ich zwei Mehrwegplastikflaschen mit je 0,75 l Wasser dabei gehabt, die erste ist nun leer, die zweite halb voll. Macht etwa einen Liter auf 42km, das ist klar zu wenig.

An der Tanke muß erst der Service auf mich warten, bis ich aus meinem Rucksack das Geld geangelt habe, und dann muß ich ewig warten, weil inzwischen viele Leute ihre Samstagsautowäsche einkaufen. Eine kleine Prüfung: vollgeschwitzt, voll Adrenalin und mit Geldschein in der Hand gefühlte Ewigkeit warten, bis alle ihre Waschkarte haben. Nicht das man auf die Idee kommen könnte, den Läufer erst mal fertig abzukassieren, das scheiß stille Wasser für 1.75€. Na gut. Auch die Prüfung bestehe ich.

Nicht weit entfernt setze ich mich auf eine Bank und fülle mein Wasser um und ziehe einen Energieriegel aus der Tasche. Setze mich kurz, bis die Kälte des Morgens mich auch hier in der Sonne erreicht. Etwas müde sind die Beine, genauer gesagt, die Oberschenkel. Komoot meldet „Sie haben die Tour verlassen. Sie befindet sich links von Ihnen in 800m Entfernung“. Da ich weiß wo es lang geht, trabe ich wieder los. Von Gößweinstein steil bergab zur Behringersmühle. Ein kurzes Stück auf der Strasse, wie noch so oft heute.

In der Pause habe ich mir einen Podcast von bayern2 eingelegt, der mir sehr gut gefällt und sehr interessant ist (Körperbehinderter Millionenbetrüger, der jetzt seinen Glauben gefunden hat).




Unten in Behringersmühle angekommen quere ich die Landstraße nach Forchheim und Komoot leitet mich auf den Wanderweg ins traumhaft schöne Aufseßtal. Nicht weit, vielleicht 1km, dann kommt eine Sitzbank, und hier werde ich meine erste richtige Pause einlegen: mit Kocher, Nudeln und Kaffee !


Vor der Bank ist ein flacher Felsen, perfekte Ablage für meine Kochutensilien. Alles vorbereitet, alles durchdacht und bei einem Trainingslauf probiert: in die große Kochertasse fülle ich 400ml Wasser, dann mit den Schweizer Sturmstreichhölzern die Flamme entzündet. Währenddessen breche ich die chinesischen Nudeln (Curry) und fülle 2 Esslöffel Kartoffelbreipulver unter die Nudeln dazu. Bis das Wasser kocht (kleine Tasse als Deckel) vergehen nur wenige Minuten. 



Ich genieße mit meinem 17gr Titanfaltlöffel (für 18€) die heißen Nudeln und anschließend den Instantkaffee. Aus einer alten Folie zum Abdecken der KfZ-Windschutzscheibe habe ich mir daheim ein kleines Stück ausgeschnitten als Isolierschicht gegen die Kälte, wahlweise für die Füße im Stehen oder für den Hintern im Sitzen auf der Bank. Alles perfekt. Vor mir das herrliche Tal, die Sonne scheint, ich alleine im Wald und Ruhe. Bewegung. Laufen. Alles im Lot, alles wie geplant. Mir fällt der Spruch einer Bekannten ein: „wer Gott zum lachen bringen will, der macht sich einen Plan“. Ich schmunzel in mich hinein, löffel meine Nudeln, schlürfe Kaffee, mach Bilder und fühl mich großartig.

Etwa 30 Minuten gönne ich mir für die Pause, dann packe ich meine Sachen wieder ein (Klasse: ein Power-Gel ist undicht und verklebt mir die Tasche mit den anderen...). Bis ich anschließend mit Hilfe der Stöcke wieder in ein Lauftempo von 8-9km/h komme dauert es so seine Zeit. Deutlich spürbar der Muskelkater in den Oberschenkeln. Aber der traumhafte Wanderweg und der gute Podcast zusammen mit den Nudeln im Bauch und der Sonne im Tal lassen schnell alles vergessen. Zu abwechslungsreich ist der Lauf über den wurzelgesäumten Trail, zu viel gibt es zu sehen (und zu viel sehe ich nicht im Vergleich zu Wanderern, weil ich dauernd auf den Weg achten muß um nicht zu stürzen.) Nach einigen Minuten wird es mir doch zu warm, und ich ziehe während dem Laufen die Jacke wieder aus und stopf sie in den Rucksack. Dauert eine gefühlte Ewigkeit, aber nachdem ich anhalten als nicht so gute Option für die Beine empfinde geht das alles auch so, irgendwie.



Bei Doos quere ich immer noch dem Aufseßtal folgend eine kleine Landstrasse und bin von nun an alleine mit dem Tal, dem Fluß und dem Wanderweg. Nur einmal überhole ich ein wanderndes älteres Paar und höre noch Wortfetzen hinter mir von der Diskussion der beiden über den Nutzen von Wander- bzw. Teleskopstöcken. Sie hatte welche, er nicht. Und dann rennt so ein Spinner vorbei, rennt, mit Stöcken und Rucksack... ts ts ts.

Aber die Trailrunningstöcke sind einfach genial für solche Vorhaben. Sie entlasten die Gelenke, geben Stabilität und zusätzliche Sicherheit. Ich ahne noch nicht, wie sehr ich sie brauchen werde, wenn ich vom Staffelberg nach Bad Staffelstein hinunter schleichen werde...

Seit Doos gibt es im Tal nur noch den Weg, den Fluß und mich. Keine Strasse mehr, keine Ortschaften. Ein kleines Paradies. Der Himmel wird grau, es nieselt leicht, aber das stört nicht im geringsten.

Ich werde nun etwa die Hälfte der Distanz haben, aber ich zwinge mich, nicht daran zu denken. Ich habe mir den Lauf in drei Teile geteilt. 3x30km und dann noch 10 bis ins Ziel. Also denke ich in 30er-Rhythmen, nicht in Hälften. Und schon gar nicht, wie weit es noch sein wird. Und auch nicht, ob ich es noch schaffe. Ich arbeite also gerade an meinen zweiten Dreißigern, soweit ist alles gut. Ich merke, wie es sich langsam zieht und dehnt. Es geht nicht mehr so schnell wie am Anfang. Damit meine ich nicht die Beine, sondern die Hinweistafeln am Weg. Bis dahin und dorthin noch 4,5km oder ähnliches. Bis ich dann wirklich dort bin kommt es mir so vor, als wäre ich schon eine kleine Ewigkeit unterwegs.



Irgendwo im Tal sehe ich einen großen alten Baum, der mindestens 1m im Durchmesser seines Stammes hat. Unten fällt mir der Einschlag auf, und ich denke noch: „hä, wieso wird dieser schöne alte Baum hier mitten im Tal gefällt ?“ - bis es zu mir durchtickert, dass heute niemand mehr Bäume mit der Axt fällt, und die „Einschläge“ in Wirklichkeit das noch nicht vollendete Werk eines Biber ist.
Ach wie schön ist das hier. Das muss ich unbedingt mal meinen Eltern zeigen (ohne deren Hilfe ich nicht mein Material hätte, mit dem ich hier heute so gut zum Laufen komme. Vielen Dank euch noch einmal an dieser Stelle !).

Über Wüstenstein und Aufseß geht es bis Neuhaus, wo ich endgültig das Aufseßtal verlasse. Ab jetzt geht es wieder „querfeldein“ über „Kotzendorf“ nach Königsfeld und Steinfeld. In Steinfeld trinke ich im Stehen in einem Gasthof eine kleine Cola und lasse mein Wasser auffüllen. Der Stammtisch schaut Bundesliga und nimmt mich nur kurz zur Kenntnis. 1.20€ für die Cola, und „tschüß“. Langsam wird es schwierig, wieder ins Laufen zu kommen. Gehen ist prima, laufen schwer. Beim Übergang ist es mehr ein humpeln, als ein Laufen. Aber wenn dann irgendwann der „Motor“ anspringt und „auf Drehzahl“ kommt, dann geht es. Den Stöcken sei Dank. Mit der beste Ausrüstungsgegenstand. Einfach genial.

Mein nächstes Ziel im Kopf ist die Über- bzw. Unterquerung der Autobahn von Bamberg nach Bayreuth. An dieser Stelle habe ich eine Distanz von 76km. Ab da also noch 25km. Aber es dauert immer länger, bis ich endlich irgendwann gehend die Autobahn unterquere.
25km gehen wären noch 5h. Es dämmert bereit, es ist gegen 17:30 Uhr. Seit 5:45Uhr bin ich unterwegs. Noch 5 Stunden, dann wäre ich um 22:30 Uhr in Bad Staffelstein. Das ist mir doch eindeutig zu spät. Mir ist klar, dass ich wieder in die Dunkelheit kommen werde. Aber mir ist nicht klar, wie lange meine Stirnlampe noch Strom haben wird.

Wieder und wieder setze ich zum Laufen an. Bin ich erst einmal in Fahrt, geht es ganz gut. Bis zur nächsten Steigung, bei der ich dann wieder gehen werde. Zum Glück gibt es nicht so viele Steigungen mehr auf meinem Weg...

Es wird immer dunkler. Ich rufe mir den Verlauf der Strecke ins Gedächtnis, weiß ungefähr, wo ich bin und was noch kommt. Ich habe die Route so gelegt, dass ich auf jeden Fall über den Staffelberg kommen werde. Ich laufe an Hinweisschildern vorbei (Bad Staffelstein, 12km) und bleibe fest bei meiner Route (5km mehr als jetzt hier abzuzweigen). Bis jetzt lief alles nach Plan. Ich will über den Staffelberg, ich will meine Route laufen und nicht auf irgend einer Nebenstrasse zum Ziel schleichen. Also geht es weiter. Im Rhythmus der Ultraläufer, wie ich gelesen habe: ein Stück gehen, dann wieder laufen. Und so weiter. Irgendwie schmilzen die Kilometer dahin, ich rechne runter für mich: weniger als 20km, weniger als 17km, und es wird immer dunkler.

Als der Himmel schließlich ganz dunkel wird und das letzte Licht des Tages im Westen verschwindet (in Richtung Staffelberg), werde ich von Komoot wieder über eine Ortsverbindungsstrasse geleitet. Ich trage meine hellgelbe LIDL-“stoppt-alles-Jacke“, aber dennoch möchte ich gern besser gesehen werden. Am Fußgelenk befestige ich ein Reflektionsband, am Arm eine nach hinten ausgerichtete blinkende Leuchtdiode. Damit ich selbst was sehen kann die Stirnlampe wieder auf dem Kopf.
So geht es auf der Strasse durch Wald und über Felder. Mit immer neuem Horizont, und dennoch irgendwie „endlos“. Die Dunkelheit reduziert mich wieder auf den kleinen Bereich vor mir, den meine Lampe ausleuchtet.

Etliche Autofahrer kommen vorbei, nur ein Vollidiot blendet mich wild gestikulierend auf und ab, weil er nicht blickt, das man auch zu Fuß um die Zeit noch unterwegs sein kann - und darf. Rücksicht wohl ein Fremdwort, wiedermal. Natürlich laufe ich links und bin auch hinreichend deutlich zu erkennen. Ich ärgere mich massiv (von 100 netten Autofahrern ist doch immer einer dabei...), unterdrücke aber den Stinkefinger. Nicht weil ich jetzt nach knapp 80km noch Menschenfreund wäre, sondern weil mich Ärger Kraft kosten würde. Zusätzliche Kraft. Und die brauche ich zum Laufen. Außerdem will ich zurück in meine innerer Ruhe. Der Depp verdient es nicht, mir meine Ruhe zu nehmen. Wie singt Daniel Wirtz doch so treffend:

"Hey Du Wurst, wer bist denn Du ? 
- laber mich hier bloß nicht zu.(...) 
Arroganz mit Frust gepaart 
ist nicht die Art die ich mag. (...)
Geh mir bitte aus dem Licht, 
Du interessierst mich nicht."

(eine der beiden Platten, die ich mir während des Laufes anhöre und meine Seele füttere: Daniel Wirtz, "11 Zeugen").  

Die Nacht umfängt mich langsam, ich verlasse die Straße und biege auf einen sehr lang gezogenen Feldweg ein. Der windet sich zwischen Feldern und Wäldern dahin, rechts unten sind Lichter einer Ortschaft zu erkennen. Ich habe meine Route im Kopf und weiß, ich nähere mich dem Staffelberg.
Ursprünglich hatte ich vor, hier noch einmal den Kocher anzuwerfen. Aber weit gefehlt. Ich will nur noch laufen, weiter durch die Dunkelheit. Irgend etwas mit über 10km werden es noch sein. 2 Stunden wenn ich gehe. Also gehe ich nicht. Ich laufe weiter.

Mit der Dunkelheit geschieht etwas Unerwartetes mit mir: eigentlich wollte ich sie vermeiden. Ich wäre gern noch bei Tageslicht angekommen. Noch ein Foto vom Staffelberg mit Blick auf Bad Staffelstein, so ein naiver Gedanke. Nun aber beruhigt mich die Dunkelheit viel mehr als das sie mich verunsichert. Ich sehe keine Distanzen mehr, es gibt nur noch mich, den Weg oder die Strasse und den Lichtkegel. Daher fällt es auch „leicht“, nicht mehr zu gehen sondern im Laufen zu bleiben. Unglaublich. Nach über 90km kann ich noch ganz gut laufen. Ich sag mir immer wieder: „es spielt sich alles im Kopf ab, nicht in den Beinen“. Und irgendwie stimmt das dann auch. Die noch fehlende Wegstrecke zu sehen wäre eine Qual gewesen („noch immer so weit..“). So aber ist es ein positives Vakuum in Raum und Zeit. Ich laufe der Stimme von komoot hinterher und staune noch immer, sie macht keine Fehler. Nur richtig interpretieren muss ich sie manchmal. Ein Blick nach oben: Sternenhimmel. Im Westen leuchtet das Licht der Stadt über dem Staffelberg. Oben gibt es ein Haus des DAV (glaube ich), ich sehe deutlich Lichter.

Die Strasse (kaum ein Auto) führt weiter Richtung 12 Apostel, vorher am Waldrand der Parkplatz. Ab da sind es noch 7,6km bis zum Ziel. Das hab ich im Kopf. Endlich sagt die Stimme von komoot: „Bei nächster Gelegenheit links auf Feldweg“ und „jetzt links“. Ich hab es quasi geschafft. Runter von der Strasse, auf den Weg den ich vom herrlichen Obermainmarathon schon kenne. Ich gönne mir ein Stück gehen. „Folge dem Weg 3,8km“ sagt komoot und ich schlucke. Mein Kopf hatte diesen Wegpunkt zu sehr als Ziel fixiert auf dem Weg durch die Dunkelheit. Jetzt ist er erreicht, aber es fehlen noch fast 8km bis zum Ziel. Oder 1,5h wenn ich gehe. Also gehe ich nicht. Ich laufe wieder.

Zwischenzeitlich denke ich, was ich wohl machen würde, wenn jetzt die Lampe versagen sollte. Markus meinte, 4h reiche der Akku. Die werde ich bald haben. Zur größten Not könnte ich mit der Taschenlampenfunktion des Smartphone den Weg suchen. Aber der ist hier oben eh breit genug und dadurch selbst bei Nacht noch ohne Licht zu erkennen. Und wenn ich gar nichts mehr sehen würde, so wäre noch das Haus mit den Lichtern oben am Staffelberg.

Überhaupt wird manches Problem jetzt sehr relativ. Ich glaube, ich habe viel überlegt und geplant bei diesem Sololauf über 100km, aber nicht alles ist planbar und nicht alles wäre ein riesen Problem. Es gibt auch Lösungen im „hier und jetzt“, situativ und spontan. Es tut gut, das zu merken.

Ich erreiche den Punkt am Staffelberg, an dem es entweder nach oben geht (und es wenig weit ist auf den Gipfel) oder nach unten, nach Bad Staffelstein. Ich mag diesen Punkt sehr, ich kenne die steile Kurve des Weges genau von meinen Teilnahmen am Marathon in Bad Staffelstein. Hier, genau an dieser Stelle, hab ich meinen ersten Marathon abgebrochen. Im Frühjahr 2012 , als ich in der Nacht vor dem Marathon nur wenige Stunden schlafen konnte, als ich mir mit den Pollen des Frühlings die letzte Energie aus dem Körper gehustet hatte. Da war zum ersten und letzten mal vorzeitig Schluss für mich. DNF, „did not finish“.

In der Dunkelheit verabschiede ich mich von den letzten Schritten des Laufens. Ab hier geht nur noch im Gehen. Es geht den Berg hinunter, meine Oberschenkel brennen und ich muss sehr gut aufpassen, nicht zu stolpern oder zu stürzen. Wieder leisten die Stöcke ausgezeichnete Dienste. Ohne sie könnte ich nicht mehr gerade dem Weg folgen. Das klingt komisch, aber wer innerlich schon einmal an so einen Punkt der Erschöpfung gekommen ist, weiß was ich meine.

Ich gehe ganz langsam den Staffelberg hinab. Ich genieße es fast. Ich spüre, wie das ein schwieriger Punkt wird, denn ich habe mein Ziel nach 15 Stunden endlich erreicht. Das Ziel zu erreichen ist schwierig, denn es fehlt der Sinn für den nächsten Schritt. Er kann zunächst einmal nur negativ formuliert werden: „jetzt nicht hier umfallen. Nicht so kurz vor dem Ziel aufgeben, usw.“ Alles negative Gedanken. Ich wische sie weg. „Mein Ziel“. Ich habs geschafft.
Ich spüre, wie mir die Kälte in die Finger schleicht. Ich höre die Autobahn, die ich noch überqueren muß. Alles geht nur noch in Zeitlupe. Egal. Ich kenne den Weg, frage dann doch noch ein oder zwei Passanten. Nur nicht jetzt noch verlaufen in Bad Staffelstein. Klingt komisch, aber jeder Meter Umweg würde mich jetzt innerlich ruinieren.

Schließlich erreiche ich den Bahnhof.

Geschafft.

Es ist mir viel zu kalt zum ausruhen oder hinsetzen. Kurz diskutiere ich noch mit Taxifahrern, was eine Fahrt nach Hersbruck kosten würde. 180€ sind dann doch zu happig („was zu Fuß ? - gelaufen ?? - das haben wir ja noch nie gehabt !!! - mit dem Rad schon, aber zu Fuß ? - an einem Tag ???“)
Also warte ich auf den Zug, der in 45min fährt. Ich gehe nebenan in einen Gasthof, trinke eine Cola und zwei heiße Tassen Tee.

Die Zufahrt dauert fast zwei Stunden, davon 1:20h mit nem vollgestopften Abteil Jugendlicher, die in dem Zug ihre Party feiern, bzw. dort „vorglühen“. Naja. Mich nervt es etwas, zu stark ist der Kontrast. Aber von mir will ja keiner was (verschwitzt, schlammig, verschmoddert, mit Rucksack und Stöcken), und daher lässt mich der Kontrast auch wieder schmunzeln.

Um 23:45 gehe ich die letzten Schritte vom S-Bahnhof nach Hause.

Endgültig geschafft.



Heute, Montag den 24.2.2014, hatte ich eine Idee: ich könnte von hier aus das Pegnitztal hinauf laufen, dann Richtung Fichtelgebirge auf den Ochsenkopf (etwa 75km von hier) und dann hinunter nach Bayreuth. Das wären auch 100km, inklusive Berg. Ha !

Im Nachhinein bin ich überrascht, wie gut ich den Lauf gemeistert habe. Alles lief wie am Schnürchen. Ich war körperlich und mental gut vorbereitet. Es gab keine Ängste, keine Verzweiflung, kein inneren Knoten. Im Gegenteil. Das alles alleine gemacht zu haben, von der Idee bis zur Durchführung, von der Umsetzung bis zum letzten Schritt, ohne Verpflegungsstände, ohne Streckenposten, ohne Start und Zieleinlauf, ohne Publikum und ohne Medaille. Nur ich und meine Schuhe. Und etwas Ausrüstung.
Genial.
Nicht zu toppen.

Ich komme wieder !




Montag, 17. Februar 2014

früh morgens


Ich konnte heute früh nicht widerstehen: mit dem Rad zur Arbeit, den blauen Himmel über mir, leichte Minusgrade, Nebel an einigen Stellen und vor mir der Vollmond am Horizont.
Einfach schön.


Samstag, 15. Februar 2014

Endspurt

Heute in einer Woche werde ich nach Bad Staffelstein laufen. Um diese
Zeit (mittags) möchte ich schon die Hälfte der Distanz locker bewältigt
haben, also etwa 50km. Da ich um 5:30 Uhr starten möchte sollten es
eigentlich schon mehr als 50km sein. Aber gut.
Die Wetterprognose schaut gut aus. Zwischen 0 und 8°C, evtl. trocken.
Also ist kaum mit Neuschnee zu rechnen. Daher werde ich wahrscheinlich
nicht auf meine Trailrunning-Schuhe setzen, sondern auf meine
ausgelatschten und geflickten Laufschuhe.

Es fiel mir schwer, mich in der letzten Tagen mit Laufen zurück zu
halten. Es juckt mich sehr stark in den Füßen und ich würde gern sofort
los laufen. Aber erstens zwingt mich mein linkes Knie zur Ruhe (aktuell
noch keine Beschwerden, aber ich kenne die Symptome der Überreizung, und
die habe ich seit den 220km im Januar. Also ist jetzt gerade weniger
mehr, um den 22. nicht zu gefährden) und mir liegen immer noch Norman
Büchers Worte in den Ohren, dass die fitness von der Regeneration kommt
und nicht von der Trainingseinheit. "Ich plane meine Pausen so wie meine
Trainingseinheiten". Das gab mir zu denken, denn ich denke ja im Bezug
auf das Laufen nur in der einen Richtung: wann kann ich wieder...

Mit einem weniger guten Gefühl im Bauch habe ich heute meine letzten
Accessoires beim Amazon bestellt: eine Tasche für mein Smartphone, damit
ich es an meinen Schultergurt des Laufrucksackes schnallen kann und
schnell und leicht herausnehmen kann. Zwar habe ich eine Tasche für den
Oberarm, aber darin sitzt das Gerät eher fest als locker. Also nichts
zum schnellen herausnehmen zwecks Foto oder Blick auf die Karte.
Des weiteren habe ich schweren Herzens auch noch einen weiteren
Kopfhörer bestellt. Zwar liebe ich meinen Bluetooth beim Laufen über
alles, aber die 12-13h wird er nie durchhalten (max 7h) und zwischen
drinn aufladen ist nicht eben ideal (ich brauche Kopfhörer für die
Navigation: "nächste Kreuzung rechts..."). Nach langer Suche habe ich
doch wieder einen Phillips bestellt (obwohl ich hier schon einen
Fehlkauf hatte), der ist kabelgebunden (also spare ich den Strom am
Smartphone für bluetooth) und hat eine Steuerung am Kabel für
Lautstärke, Vor- und Zurückspulen sowie Telefonate. Das sollten nun
endlich die letzten Teile gewesen sein.


Die Runde heute verlief ganz entspannt und ohne Hektik. Ich habe gemerkt, wie sich mein Körper schon auf die Anforderungen eingestellt hat: es ist schwer, langsam zu laufen. Das Adrenalin sitzt sprungbereit in den Adern und alles will los. Dauernd könnte ich was ändern und was kaufen, um meine Ausrüstung zu optimieren. Aber irgendwann muss es auch mal gut sein.

Inzwischen wiege ich etwa 70,5kg. Seit dem Jahreswechsel habe ich also etwa 6kg weniger auf den Rippen. Dabei mache ich keine Diät oder hungere vor mich hin. Allein, ich lasse alle Süßigkeiten weg, keine Chips, keine Gummibärchen, kein Bier, kein Alk. Ich fühl mich prächtig, und mir fehlt nichts.

Da es inzwischen recht warm geworden ist (also über 10°C) hatte ich überlegt, den Kocher weg zu lassen. Aber bei 101km kann ich mir einfach gut vorstellen, unterwegs heilfroh zu sein, etwas warmes in den Bauch zu bekommen. Die getesteten chinesischen Nudeln mit einem Zusatzlöffel Kartoffelbreipulver. Und ner Tasse Instant-Kaffee. 2x auf der Strecke. Das lasse ich vielleicht lieber doch nicht weg. Auch wenns nicht unbedingt nötig ist. Und sehr wahrscheinlich wird ALLES nötig sein.

Der Puls steigt. 101km. Kein abbrechen, kein umdrehen, kein "Reserveschirm". Durch und gut. Wenn nicht, dann gibts ein Abenteuer. Aber ich werde das Haus morgens alleine verlassen und dann aus eigener Kraft auch wieder heim kommen. Doch ich bin gespannt. Die Schallmauer von 100km flößt mir Respekt ein.
Auch wenn der Vergleich hinkt, aber ich denke an den jungen Amerikaner, der free solo die höchsten Wände durchsteigt und ohne jegliche Sicherung unterwegs ist. Spielend, turnend. Mit der Leichtigkeit des Seins. Das ist mir ein Vorbild, wenn die "aber wenn..."-Gedankenfraktion zu stark wird.
Laufen. einfach laufen. Den ganzen lieben langen Tag.
Free solo.